Feldapotheker und Arzneimittel-Notstand in DOA

von Cornelius Bergengrün

Wie alle deutschen Schutzgebiete war Ostafrika weder militärisch noch wirtschaftlich 1914 auf einen Krieg vorbereitet, der die gewohnten Kontakte mit dem Heimatland jäh unterbrechen würde. Materialien und Geräte aller Art konnten den Bedarf kurze Zeit decken, aber Nachschub und Ersatz schienen fast ausgeschlossen wie die Erfahrung später lehrte (abgesehen von wenigen "Blockadebrechern" der Handelsschiffahrt mit geringem Nutzen).

Glücklicherweise war das umfangreiche Sanitätsdepot des Gouvernements in Daressalam bei Kriegsausbruch randvoll, und alle Experten glaubten an eine Dauer der Feindseligkeiten von höchstens einem Jahr. Vorsichtshalber wurden die Depotbestände von der riskanten Küste weg ins Landesinnere geschafft. Zunächst vermisste man genügend Verbandpäckchen im Lager sowie "Tropenkoffer" (Expeditions-Apotheken bewährter Art). Es gelang jedoch, innerhalb weniger Monate improvisiert sterile Verbandpäckchen anzufertigen, unterstützt von den Frauen der deutschen Kolonie.

Da standen zwar keine wasserdichten Stoffe zur Umhüllung zur Verfügung, doch liessen sich die Verbandpäckchen auch ohne grosse Mühen mit Khaki- und anderen festen Bekleidungsstoffen schützen. Um eine sterile Verpackung zu sichern (über längere Zeit), blieb als einzige Möglichkeit, die Päckchen vor der Umhüllung mit Khakistoff zunächst in Pergamentpapier einzuschlagen.

Ein Ersatz für Expeditions-Apotheken musste ebenfalls erfindungsreich ermöglicht werden: Eine Schlosserei in Daressalam fertigte leichte Blechkoffer an, auf deren Böden fest gelötete Blechhüllen für etwa 40 enghalsige und weithalsige 100 Gramm Glasstöpselflaschen angebracht waren. Darin konnten die wichtigsten flüssigen Arzneistoffe und Tabletten verstaut werden. Überdies enthielten die Koffer zwei herausnehmbare Einsätze mit Abteilungen aus dünnem Blech zum Auffüllen durch Verbandstoffe, Instrumente usw. Diese Ausrüstungen mussten widerstandsfähig und vielseitig sein, durften aber höchstens 30 Kilogramm wiegen (als Trägerlasten für Eingeborene im Militärdienst).

 

 

Dramatischer ging es bei den Überlegungen zu, die Chinin-Versorgung zur Malaria-Bekämpfung zu sichern, da die Vorräte aus Deutschland bald erschöpft schienen. Als Glück im Unglück erwies sich die Tatsache, dass im Bezirk Usambara des Schutzgebiets fünf grössere Cinchona-Pflanzungen existierten. Die dort geernteten Chinarinden eigneten sich zur Fabrikation von Chinin in eigener Regie und deckten den Bedarf während der Kriegsjahre zu etwa 60 Prozent. Auch hochprozentiger Weingeist konnte beschafft werden mit Apparaten der einheimischen Whiskey-Fabrikanten.

 

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Das deutsche Krankenhaus in Daressalam zählte zu den eindrucksvollsten Bauwerken im Schutzgebiet Deutsch-Ostafrika und verfügte über eine ausgezeichnete medizinische Betreuung. Daneben gab es vorbildliche Kliniken zur Versorgung der eingeborenen Bevölkerung (ohne Kosten).

 

Man verwandte zur Spiritus-Erzeugung an der ostafrikanischen Küste überwiegend vergorenen Saft der Kokospalmen, also Palmwein der Eingeborenen. Im Landesinneren bevorzugten die Leute Maischen aus Getreide wie Mais und Hirse oder aus stärkemehlhaltigen Knollengewächsen wie Bataten und Maniok.

Das gewonnene Chinin-Sulfat wurde mit einer aus Privatbesitz übernommenen, veralteten und primitiven Maschine in Tabletten zu jeweils 0,5 Gramm geformt. Gesamtleistung: eine Million Stück! Da die sonst üblichen Zusatzstoffe nicht verfügbar waren, mussten sie jetzt durch Rohrzucker und Stärke ersetzt werden, sodass die Pressung der Tabletten mit relativ geringem Druck bewältigt werden konnte. Leicht und schnell zerfallende Wirkstoffe (der Tabletten) sollten den Patienten beim Auflösen in Wasser unkompliziert zugute kommen.

Schwieriger verlief die Ersatzbeschaffung von Salben, weil kaum brauchbare Geräte im Schutzgebiet zu finden waren und weil bisher alle Artikel dieser Art komplett als Importware nach Ostafrika gelangten. Grundlage für "Verlegenheitslösungen" bildete jetzt ausgelassenes Fett, das von Höckern der Zebu-Rinder stammte, ergänzt durch Erdnussöl. Zur Herstellung des häufig benötigten Ungt. Hydrarg. ciner. wurde nach Erschöpfung des Vorrats an reinem Quecksilber ein stark verunreinigtes Metall aus dem Betrieb der Kironda Goldmine genutzt, das zunächst gereinigt werden musste.

Die Anfertigung von Liquor Aluminii acetici bewältigte man (ersatzweise) durch Eintragen der berechneten Menge fein gepulverten Blei-Acetats in Alaunlösung entsprechender Konzentration und Ausfällung des überschüssigen Bleis aus der vom abgeschiedenen Bleisulfat getrennten klaren Lösung durch Schwefelwasserstoff. Aus Deutschland trafen unbehindert zwei Arzneimittel-Lieferungen in Deutsch-Ostafrika auf dem Seeweg ein, allerdings nur in bescheidenen Mengen. Immerhin gab es bis Ende August 1916 keine grösseren Versorgungsprobleme im Schutzgebiet. Erst nach der Eroberung der Zentralbahnlinie durch die Briten drohten Engpässe. Es fehlten genügend Träger zum geordneten Rückzug ins Landesinnere, und die Einrichtungen zur Chinin-Fabrikation fielen in die Hand des Gegners. Ein Viertel des vorhandenen Sanitätsmaterials ging verloren.

Zahnpflege und Mundhygiene

Weil es den Feldtruppen auch an Zahnpasta und Mundwasser mangelte, entschlossen sich die Sanitäts-Einheiten zur Anfertigung grösserer Mengen eines weingeistigen Thymol-Mundwassers und einer festen Zahnpasta. Weil Calcium Carbonicum nicht mehr zu beschaffen war, wurde ein Vorrat an Chlorkalzium durch Fällung mit einer Lösung von natürlicher Soda aus einem Natron-See im Bezirk Kondoa auf Schlämmkreide verarbeitet. Die benötigte medizinische Seife gewann man aus Flusspferdfett und Erdnussöl. Ein Versuch, Aloe zu Abführpillen zu nutzen, misslang allerdings, weil die Ausbeute an wilden Aloe-Pflanzen in der Region nicht genügte. Erfolgreich verlief der Versuch, aus den Drogen des Landes Strophantus- und Uzara-Tinktur zu produzieren. Auch Flores Koso und Cortex rad. granat. konnten im Schutzgebiet reichlich gesammelt werden zur Verwendung als Bandwurm-Mittel. Zur Streckung des Vorrats an Digitalis liess sich eine Tinktur aus der Rinde von Erytrophloeum guineense gewinnen.

Wilde Stauden unterschiedlicher Arten und ihre Samen dienten der Zusammenstellung von Rizinusöl. Eingeborene befreiten sie von den dunkelfarbigen Schalen vor dem Auspressen. Das so gewonnene Öl blieb wegen der unzulänglichen Geräte mit erheblichen Mengen Samen-Eiweiss vermischt. Was tun? Das unreine Öl wurde zunächst mit viel Wasser leicht aufgekocht, wobei ein grosser Teil der nicht erwünschten Beimengungen schaumig abgeschöpft werden konnte. Nach weiterem Erhitzen zeigten sich keine abschöpfbaren Massen mehr. Schliesslich wurde die Flüssigkeit gefiltert.

Öl und Wasser bildeten jetzt eine beständige Emulsion, deren Trennung nur so zu erreichen war, dass man in flachen Emaille-Gefässen vorsichtig weiter erhitzte und das gebundene Wasser verdampfen liess. Auf diese Weise wurde das Gemisch allmählich wasserklar, trübte sich aber stets beim Erkalten solange dem Öl noch etwas Wasser beigemengt war. Es kam nun darauf an, genau den Zeitpunkt abzupassen, wenn gerade das Wasser verdampft war. Ein zu weit reichendes Erhitzen führte sonst zur Bildung von Acrolein, das dem Öl einen kratzenden Beigeschmack verlieh.
 

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Der Bahnhof Tanga mit einer "Kuhfänger-Lokomotive" wie im Wilden Westen Nordamerikas. Die Bahnlinie war hart umkämpft bis die Schutztruppe der alliierten Übermacht weichen musste und zuletzt in Gefangenschaft geriet.

 

Herbst 1917: Notstand Verbandwatte

Bei dem Gedanken an Ersatz von Verbandmitteln im kritischen Jahr Ende 1917 blieb Rohbaumwolle im Mittelpunkt des Interesses, die durch längeres Kochen mit Natronlauge entfettet werden sollte. 18 große und aus glatt gehämmertem Wellblech gefertigte Töpfe standen bereit, in Serien zu jeweils drei Exemplaren angeordnet. In die Töpfe mit der mehrfach genutzten Lauge wollte man frische Rohwolle füllen, während Behälter mit frischerer Lauge bereits zweimal ausgekochte Wolle aufnahmen. Für die Entnahme aus den Laugegefäßen waren Töpfe mit siebartigen Aufsätzen vorgesehen.

Nach dreimaligem Auskochen schien Baumwolle im allgemeinen hinreichend entfettet und wurde bis zur neutralen Reaktion ausgewaschen. Hohe Wasserbehälter mussten aufgestellt werden, die man abends füllte und mit Alaun klärte, weil das Flusswasser aus dem Mbemkuru häufig Schmutz aufwies. Die sauber ausgewaschene Wolle wurde in einer Grashalle auf langen Hürden aus Bambusrohr getrocknet und tagsüber unter freiem Himmel der heissen Sonne ausgesetzt.

Als sehr mühsam erwies sich das anschliessende Auszupfen der in kompakte Strähnen zusammen geschrumpften Wolle zu einem lockeren und Watte ähnelnden Erzeugnis. Maschinelle Hilfsmittel gab es nirgendwo, sodass jede Strähne mit der Hand zerfasert werden musste. Dabei war es nicht möglich, die Watte in zusammen hängenden Lagen zu gewinnen. Man durfte sich mit einem guten Aufsaugevermögen des ungewöhnlichen Produkts begnügen.

Kurz vor Kriegsbeginn wurde etwa einen Tagesmarsch entfernt eine neue Missionschule eröffnet und 260 Kinder fanden sich bereit durch Watte-Zupfen etwas Taschengeld zu verdienen, angeleitet von ihren Lehrern. Weitere 150 Kinder aus der näheren Umgebung des Sanitäts-Depots sowie 150 erwachsene Eingeborene machten sich ebenfalls um die Watte-Herstellung verdient. Zusammen gerechnet standen mehr als 550 Kräfte zur Verfügung, angespornt durch Prämien für besonderen Fleiss. Die fertige Watte musste sterilisiert und in Presspaketen zu 100, 200 und 500 Gramm portioniert werden. Eine Kopierpresse unterstützte die Packarbeiten. Zuletzt wurde nochmals mit Dampf alles keimfrei gemacht.

Um die Verbandstoffe zu sterilisieren, hatte man zwei fast mannshohe Sterilisatoren im Depot, die nach Art Kochscher Dampftöpfe mit doppelten Wandungen aus Wellblech konstruiert waren. Zur Herstellung der für die Entfettung der Baumwolle erforderlichen Lauge standen zwei Lasten Ätznatron zur Verfügung, mit dem sparsam umgegangen werden musste. Dies führte allerdings dazu, dass oft nur ungenügend entfettete Fabrikate zustande kamen. Woher Ätzkali nehmen in dieser Situation ? Ein Feldapotheker kam auf die Idee, Destillationsrückstände von Hartspiritus zu verwenden. Ein Hilfsschiff hatte aus der Heimat mehrere hundert Lasten eingebracht, die noch im Süden des Schutzgebiets lagerten. Sie waren bisher nur vereinzelt im Sanitätsdienst der Schutztruppe verwendet worden, teils in Substanz, teils nach der Rückgewinnung des flüssigen Weingeistes zum Beheizen kleiner Sterilisatoren.

Die beim Abdestillieren zurück bleibenden Seifenrückstände erwiesen sich als ätzend alkalisch und einige Versuche glückten sogleich, sie zur Entfettung von Baumwolle zu nutzen. Bereits nach kurzer Kochdauer, wobei sich der Geruch nach Pyridinbasen alsbald verlor, liess sich eine gut entfettete Wolle zustande bringen, die nach dem Trocknen auf Wasser gelegt sofort unter ging.

Versuche mit einem aus Aschenlaugen hergestellten Ersatz für Natronlauge boten wenig Aussicht auf Erfolg, weil Kalk erst in einer Entfernung von 10 Tagemärschen vorkam. Um einen Vorrat an Hartspiritus-Rückständen zu schaffen, wurde die Destillation intensiviert mit Verwendung einer aus Wellblech gefertigten Destillieranlage, die wegen Brandgefahr in einer aus Bambus errichteten Hütte (ohne das übliche Gras) untergebracht werden musste. Von dem dort gewonnenen denaturierten Weingeist wurde ein grosser Teil rektifiziert (also wiederholt destilliert ), um ihn zur Fabrikation von pharmazeutischen Präparaten wie Jod-Tinktur, Kampfer-Spiritus usw. sowie zum Desinfizieren in Lazaretten zu verwenden. Man destillierte das denaturierte Material zur Abscheidung der Pyridinbasen zunächst unter Zusatz von Schwefelsäure aus dem einzigen noch verfügbaren Glaskolben Es schlossen sich ergänzende Vorgänge in der "Chemieküche" an.

 

Unguentum Hydrargyrum Cineremis
Salbe mit 30 Prozent Quecksilberanteil gegen Hautkrankheiten.

Liquor Aluminii Acetici
Essigsaure Tonerde für Umschläge bei Verstauchungen und Prellungen.

Strophantus Tinktur
Herstellung aus dem Samen einer mächtigen afrikanischen Liane (Strophantus Gratiis), Medizin für Herz-Patienten, schneller wirksam als Digitalis (Fingerhut-Extrakt), aber zeitlich begrenzt im Vergleich zu Digitalis. Eingeborene nutzen den gleichen Samen zur Herstellung von Pfeilgift.

Uzarar Tinktur
Bewährtes Mittel bei Magen- und Darmerkrankungen. Trocken-Extrakt der Uzara-Wurzel, die auch in Südafrika vorkommt (neben Ostafrika).

Flores Koso
Grosser Baum in der Kilimandjaro Region, Ostafrika, Höhenlage 2500 bis 3800 Meter. Wirksamer Bestandteil Kosotoxin als Mittel gegen Bandwürmer.

Cortex Radicis Granati
Getrocknete Rinde der Wurzeln des Granat-Baums, nützlich gegen Bandwurm-Erkrankungen.

Acrolein
Stechend riechende Flüssigkeit, entsteht bei der Destillation von Fetten und Glyzerin. (Kein Nutzen).

Oleum Rusci
Birkenteer gegen Hautkrankheiten. Braunschwarze Flüssigkeit, riecht durchdringend nach Juchtenleder (auch als Gerbstoff nutzbar).

Unguentum Cereum
Salbe aus Erdnussöl und Wachs.

Kolieren und Kolaturen
Filtern durch ein Fasertuch, Ergebnis der Filterung.

Dekokt
Abkochung, Sud.

Base
Alkalisch reagierende chemische Verbindung.

Cinchona Pflanzungen

Bäume mit China-Rinde zur Herstellung von Chinin gegen Malaria.

Mineralsäure

Sammelbegriff für anorganische Säuren wie Schwefel-, Salz- und Salpetersäure.

Fällung, ausfällen
Gelöste Stoffe überführen in unlösliche Stoffe.

Adeps Lanae
Wollwachs

Chlorkalzium
Poröses Präparat, wasseranziehend, zur Füllung von Glas-Hohlstopfen bei Arznei-Flaschen geeignet.

(Zusammenstellung mit freundlicher Unterstützung von Apothekerin Hildegard Ploß)

 

Für knapp gewordene Mittel zur Bekämpfung von Darmerkrankungen bot sich ein guter Ersatz in Bolus alba (ein weisser Ton, genutzt als Streu-, Zahn- und Augenpulver, bindet vorwiegend basische Stoffe). Die Feldapotheker entdeckten in Ostafrika stark mit Sand durchsetzte, aber auch rein weisse Tonablagerungen. Dieser Rohstoff wurde nach dem Zerreiben durch wiederholtes Schlämmen restlos von Sand befreit. Der auf-Filtertüchern gesammelte, fein verteilte Ton liess sich in Emaille-Schalen unter schwacher Hitze trocknen, pulverisieren und in Beuteln abpacken. Sowohl Eingeborene als auch Deutsche, die an Ruhr und anderen Darmstörungen litten, äusserten sich überall zufrieden mit dem Erfolg dieser Behandlung.

Unter den Trägern und farbigen Soldaten kam es oft zu Krätze-Erkrankungen und passende Salben mussten improvisiert werden, da die sonst üblichen Mittel wie Perubalsam und Styrax längst aufgebraucht waren. Der Ersatz: Naphthol-Schwefel-Salben unter Zusatz von Ol. Rusci mit einem Ungt cereum aus vier Teilen Wachs und sechs Teilen Erdnussöl als Grundlage. Nachdem jetzt auch die Naphthol-Bestände schrumpften, blieb als letzte Ersatzmöglichkeit noch eine Salbe mit Schwefel und gebeuteltem Zinksulfat übrig.

Als Basis für Borsalbe und Zinkpasta benutzte man Elefanten- und Flusspferdfett mit einem Zusatz von Adeps Lanae. (Wollwachs, Lanolin). Zur Verpackung und Versendung der Salben dienten Weissblechdosen, gefertigt aus Blechresten. Zum Vertrieb kleinerer Mengen gab es aus Bambusrohr geschnitzte Dosen, die mit einem Korken verschlossen wurden. Allerletzte Naphthol-Reserven mussten der Behandlung jener Patienten vorbehalten bleiben, die vom Hakenwurm befallen waren.

Besorgnis erregend blieb vor allem die ausreichende Belieferung der Schutztruppe mit den geringen Chinin-Reserven. Einige tausend Kilogramm China-Rinden konnten aber noch gerettet werden und halfen das Schlimmste zu verhüten. Es blieb technisch nichts anderes übrig, als die Abkochungen im Sanitäts-Depot anzufertigen und gebrauchsfertig abzugeben, weil an eine Tabletten-Produktion nicht mehr zu denken war mangels brauchbarer Geräte und Maschinen.

 

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Dienststellen des Gouvernements und Wohnungen der Kolonialbeamten in Daressalam, luftig konstruiert zur Bewältigung der tropischen Temperaturen. In der Stadt befand sich auch das Sanitätsdepot mit seiner Zentralverwaltung.

 

Um die Transportschwierigkeiten sicher auszuschalten, die der Versendung grosser Mengen von Flüssigkeiten im Wege standen, wurden die Abkochungen (Dekokte) in stark eingeengtem Zustand zum Versand gebracht und so hergestellt, dass jeweils 30 Gramm mittelfein gepulverter Rinde mit 250 Gramm Wasser und 2,5 Gramm verdünnter Schwefelsäure in einem unbeschädigten Emaille-Topf 30 Minuten in gelindem Sieden gehalten wurden. Anschliessend filterte man heiss durch ein Tuch und kochte den Rückstand nochmals mit etwas schwach angesäuertem Wasser aus. Die vereinigten Kolaturen (Filterungen) wurden in flachen Emaille-Töpfen auf etwa 27 ccm für 30 Gramm Rinde eingedunstet und zur Konservierung mit Salizylspiritus auf 30 ccm ergänzt. In solcher Menge war rund ein Gramm Chinabasen enthalten, also eine Tagesdosis Chinin-Ersatz.

Gefäße vom Affenbrotbaum – kein Problem

Als gegen Ende 1917 die Vorräte an Mineralsäure zur Neige gingen, wurden die Abkochungen (Dekokte) vorübergehend mit Essigsäure hergestellt. Dies befriedigte keineswegs als Notlösung, denn das saure Chinin-Acetat ist ebenso schwer löslich wie das Mono-Acetat. Folglich schieden sich beim Erkalten der im heissen Zustand klaren konzentrierten Abkochungen die essigsauren Basen als fest haftender Bodensatz ab, der zum Verteilen ein energisches Umschütteln der Flaschen vor dem Gebrauch des Medikaments erforderte. Da jedoch ein Versuch ergab, dass die mit reinem Wasser hergestellten Abkochungen einen geringeren Gehalt an Chinabasen enthielten als dies bei Zusatz von Essigsäure der Fall war, musste der erwähnte Nachteil notgedrungen in Kauf genommen werden.

Erhebliche Schwierigkeiten machte anfangs die Beschaffung zahlreicher unversehrter Emaille-Kochgefässe: Nangano, Standort des Hauptzuges vom Feld-Sanitäts-Depot, war ein kleines Eingeborenendorf, fünf Tagemärsche von der nächsten weissen Siedlung entfernt. Auch die Bereitstellung ausreichender Mengen von Versandgefässen für die Abkochungen verursachte viel Kopfzerbrechen bei den Feld-Apothekern. Bestände an leeren Flaschen – soweit verfügbar – verwendete die Schutztruppe als Isolatoren zu den meist aus Stacheldraht gelegten Feldtelegrafen-Leitungen , was Vorrang hatte.

Es gelang jedoch, aus den Früchten des Affenbrotbaums geeignete Ersatzgefässe zu konstruieren: Man brannte am oberen Ende mit dem konisch geformten Brenneisen ein für vorhandene Korkgrössen passendes Loch in die Frucht und entfernte Fruchtfleisch sowie Samenkerne sauber durch Auswaschen. Die leeren Fruchtschalen wurden in der Sonne getrocknet und durch Einführen brennender feiner Bambusstäbchen weiter bearbeitet. Das heisst: die zahlreichen langen Fasern liessen sich auf diese Weise an den Innenwänden sorgsam abbrennen. Schliesslich schwenkte man die Behälter noch mit heissem Wachs aus.

Obwohl es sich bei der geschilderten Verwendung der Rinden nur um einen primitiven Chinin-Ersatz handelte, wurden die konzentrierten Abkochungen in der Nachkur bei Fieberanfällen der Militärangehörigen durchaus zufriedenstellend angewandt. Man konnte also etwa die Hälfte des Gesamtverbrauchs an Chinin längere Zeit durch Abkochungen decken.

Verbandmull aus Baumrinde - alles machbar

Weil Verbandmull gleichfalls immer knapper wurde, kam ein Stabsarzt auf die Idee, brauchbaren Stoff aus Baumrinden als Ersatz zu empfehlen. Die Eingeborenen mancher Regionen im Schutzgebiet verstanden es grossartig, sich auf diese Weise "Kleidung" anzueignen. Auch war bekannt, dass bestimmte Baumrinde guten Rohstoff für Getreidesäcke lieferte. Für die Gewinnung kamen in Frage vor allem Bastteile des Myombo-Baums, befreit von Borke und Rinde. Durch geschicktes Klopfen wurde die Rinde verschiedener Baumarten der ostafrikanischen Wildnis von den gefällten Stämmen gelöst und allmählich in einen weichen Stoff "verwandelt", wozu man Holzhämmer gebrauchte. Das Produkt musste zuletzt ausgelaugt, gesäubert und getrocknet werden. Das leicht spaltbare Material ergab einen dünnen und schmiegsamen Stoff je nach Geschick der Bearbeiter. Passende Stücke eigneten sich vorzüglich (geschnitten, geplättet und steril verpackt) als Mullersatz für die Verwundeten.

 

Die vielköpfige Schülerkapelle in Tanga erfreute sich grosser Beliebtheit bei jung und alt wegen ihrer musikalischen Vielseitigkeit. Sogar ein Kesselpauker gehörte dazu neben Tubabläsern und Posaunisten.

 

Allerdings erfüllte der Mullersatz nicht alle Erwartungen in der Praxis, weil dicke Wundsekrete – gegen alle Hoffnungen – doch nicht aufgesogen wurden (verglichen mit wässerigen Flüssigkeiten). Nach dieser Enttäuschung wandten sich die Feldapotheker Kompressen zu, hergestellt aus entfetteter Baumwolle, und das Problem liess sich auf Umwegen lösen: Zwischen zwei einfachen Streifen Mull nähte man jeweils eine Lage der selbst erzeugten Watte ein mit den Grössen sieben mal neun und neun mal zwölf Zentimeter. 500 bis 600 Stück konnten täglich .sterilisiert werden. Am folgenden Tag verpackte man je sechs Stück mit Bindfaden und steckte sie nochmals in den Sterilisator. Schliesslich waren Lieferungen mit jeweils 12 und 24 Mullbinden in Wachstuch gehüllt versandbereit.

Vergleichende Versuche in Lazaretten zeigten , dass der Rindenstoff als Mullersatz für starke Wunden (nach Abtrennungen) unbrauchbar war, weil sich stets nur die unmittelbar über einer Wunde liegende Stelle mit Eiter voll saugte, während die Wundabsonderungen im übrigen seitlich aus dem Verband liefen. Dagegen saugten sich Wattekompressen auch mit dicken Wundsekreten bis in die äussersten Zipfel voll. Für kleinere Wunden und feuchte Verbände erwies sich der Rindenstoff als sehr nützlich.

Andere Versuche, zur Umhüllung der Wattekompressen sehr dünne Rindenstoff-Lamellen zu verwenden, wie man sie durch Laugenbehandlung des Rohmaterials in Form sehr zarter und weitmaschiger Gewebe erzielen konnte, hatten keinen Erfolg, denn Kompressen mit der erwähnten guten Saugkraft für dicke Sekrete wurden nur einsatzfähig, wenn die dünne Hülle aus hydrophilem (Wasser aufnehmendem) Material bestand.

Ein Ersatz für Mullbinden schien vorübergehend möglich, als man innerhalb der noch zugänglichen Gebiete alle dafür geeigneten Baumwollstoffe beschlagnahmte und zu Binden zu verarbeiten versuchte. Sogar ein Posten schwarzes Wachstuch liess sich nutzen, nachdem das Tuch in Wasser eingeweicht und die undurchlässige Schicht entfernt werden konnte., Selbst gesponnenes Baumwollgarn verwandelte sich auf primitiv hergerichteten Webstühlen in gewebte und dauerhafte Binden, doch reichten die benötigen Mengen niemals aus zur Versorgung des Sanitätswesens und der Schutztruppe.
In solcher Not erwies sich der "Rindenstoff" als einigermassen brauchbar. Von schmiegsamen und hinreichend langen Stücken des Rohmaterials wurden breite Streifen geschnitten und bis zu einer Bindenlänge von mindestens fünf Meter zusammen genäht. Das Schneiden der Streifen erforderte grosse Sorgfalt, weil der Stoff nur in einer bestimmten Richtung zugfest war. Wich man geringfügig davon ab, entstanden leicht zerreissbare und somit unbrauchbare Binden. 150 bis 200 Binden kamen täglich zustande, allerdings unterschiedlich schmiegsam.

Anfang 1917 gab es keine Reserven mehr an Verbandpäckchen. Immerhin fand man einen grösseren Posten Ölpapier, besorgt von einem Hilfsschiff. Der auf der Rückseite festgeklebte Mull konnte leicht abgelöst werden und lieferte so 6000 Binden, die sich von weichen Mullbinden nur durch ihre braune Farbe unterschieden und mühelos zu Verbandpäckchen verarbeitet werden konnten. Man nähte eine grössere Watte-Kompresse etwa 15 cm vom äussersten Ende entfernt auf die Binde, knickte die Kompresse in der Mitte so zusammen, dass das überstehende Binden-Ende auf dem gerollten Teil lag und faltete schliesslich alles in Papier so ein, dass Binden-Ende und Binde aus der Papierhülle ragten. Es folgte eine Sterilisation mit Heissdampf (zweimal 90 Minuten). Zuletzt schlug man das Erzeugnis in Wachstuch ein, verschnürte es als Päckchen und sterilisierte zum dritten Mal.

Die Art der Verpackung ermöglichte es einen Verband steril anzulegen, ohne dass die Kompresse mit den Fingern berührt werden musste. Nach dem Abstreifen der Wachstuch-Umhüllung genügte ein schwaches Ziehen an der Binde und an dem ebenfalls aus der inneren Papierverpackung herausragenden Binden-Ende in entgegen gesetzter Richtung. Dann fiel die Papierhülle zu' Boden, und die Kompresse zum Auflegen auf die Wunde schwebte frei an der Binde zwischen den Händen.

Das Depot in Mahenge ersann einen guten Ersatz für Mastisol in Form einer Chloroform-Ätherlösung des Harzes von Cupressus glaucus. Diese Bäume standen nahe einer Missionsstation als importierte Ziergewächse. Da Kisten als Verpackungsmaterial überall fehlten zum Versand von Material der Sanitätsdepots, verwendete man Stäbchen, geschnitzt aus Bambusrohr, dazu Bastbindfaden und stellte "Roll-Jalousien" her, die als Umhüllungen für Pakete aller Grössen dienten. Weiches Gras polsterte die kostbaren Arzneimittel, damit nichts zu Bruch ging.

 

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Gruppenfoto der letzten Offiziere Lettow-Vorbecks nach dem Waffenstillstand. Unter ihnen Ober-Apotheker Beyer und mehrere Ärzte neben Schiffsoffizieren und Juristen. Im Zentrum Gouverneur Schnee.

 

Kurz vor dem Zusammenbruch des deutschen Widerstands gelang es noch einmal, die Vorräte der Sanitäter und Feldapotheker durch unverhoffte Beute in Portugiesisch-Ostafrika (Moçambique) kräftig aufzufüllen, doch nutzte dies kaum einem der deutschen Verwundeten oder Tropenkranken. Man muss rückblickend bedenken, dass erst 1880 im Blut des Menschen Erreger der Malaria diagnostiziert werden konnten und dass in Hamburg ein Institut für Schiffs- und Tropenkrankheiten seine Arbeit aufnahm. In allen Schutzgebieten entstanden Kliniken für Weisse und Eingeborene. Bereits um 1912 wirkten in Ostafrika, Togo, Kamerun und in den Südsee-Besitzungen (ohne DSWA und Kiautschou-Tsingtau) 110 deutsche Fachmediziner.

1912 wurden in Deutsch-Ostafrika 630.000 Eingeborene, in Kamerun 80.000 und in Togo 75.000 Einheimische gegen Pocken geimpft (mit ausgezeichnetem Erfolg). Wesentlich schwieriger verlief allerdings (in Krieg und Frieden) die Malaria-Bekämpfung.

Ein grosses Glück (im Unglück des Kriegszustands) bedeutete die Ernährung, denn die Schutztruppe konnte sich bis zuletzt aus dem Land gesund ernähren. Die überwiegende Pflanzenkost (mit hochwertigen und eiweissreichen Hülsenfrüchten) sowie frisches Gemüse und Früchte boten stets reichlich Vitamine, Die Jagd lieferte Fleisch nach Bedarf. An der Nordfront (Kilimandjaro) konnte die Schutztruppe sogar mit Typhusvakzine geimpft werden (aus landeseigener Herstellung). Feldlaboratorien erlaubten bakteriologische Untersuchungen.

Der Transport von Verwundeten aus der Feuerlinie zum Verbandsplatz und weiter zu besser ausgestatteten Feldlazaretten gelang mit der "Maschilla", einer Hängematte, über grosse Entfernungen dank zahlloser hilfreicher Trägerkolonnen. Solange der Norden noch gehalten werden konnte, stand die Usambara-Eisenbahn als Verbindung zur Küste und zum Etappen-Lazarett Korogwe bereit. Das machte sich vor allem nach der Schlacht von Tanga bemerkbar. Im letzten Kriegsjahr mussten jedoch selbst Schwerverwundete mit Brust- und Knochenverletzungen wochenlang in Hängematten mitgeschleppt werden , weil es keine anderen Möglichkeiten mehr gab. Man sprach mit Galgenhumor von "marschierenden Lazaretten", vor allem nach dem Überschreiten des Rovuma Flusses im sogenannten Bewegungskrieg auf portugiesischem Territorium. Ende August 1918 fanden zwei Feldärzte in ihrer Kolonne während eines Feuerüberfalls den Tod, ein anderer geriet in Gefangenschaft der Portugiesen.

 
Quellen:
Pharmazeutische Zentralhalle für Deutschland
Zeitschrift für wissenschaftliche Interessen der Pharmazie
Verlag Theodor Steinkopff, Dresden und Leipzig 1919