VERSCHOLLEN?

Ein britischer Offizier beim Generalstab der kaiserlichen Schutztruppe und sein Geheimbericht über Swakopmund aus dem Jahre 1905

(H.R. Schneider-Waterberg, Okosongomingo 2004)

Swakopmund ist eine Reise wert. Das war schon vor hundert Jahren so – wenn auch, wie vorliegender Bericht zeigen wird, damals vielleicht aus etwas anderen Gründen.

Heute bietet die Küstenstadt neben ihrem Seeklima und anderen Attraktionen auch das von der Gesellschaft für Wissenschaftliche Entwicklung unterhaltene Museum und die hervorragende Namibiana- Sammlung mit dem Archiv der Sam-Cohen-Bibliothek. Diese bietet für das Studium der Landesgeschichte ein überraschend weites Feld. So fand sich unter ihren Archivalien eine kuriose Mappe mit hundert Jahre alten Photos und der verblüffenden Aufschrift „Bilder aus dem Krieg in Südwestafrika von Generalleutnant von Trotha“. Obwohl diese Bildmappe sehr schlichte und nichtssagende Bildchen enthielt, stellten sich einige der Bildunterschriften als mögliche Hinweise auf verschollene historische Quellen heraus. Deren Erkundung ging über Grenzen und Meere und kreuzte andere verlassene Spuren, von denen auch zu berichten sein wird. Doch befassen wir uns zunächst mit dem Ausgangspunkt –

dem Photoalbum

Woher stammte es? Irgend jemand meinte: “Anscheinend aus Keetmanshoop von irgendwelchen Schmidts”. Belege gab es dafür keine. “Warum Keetmanshoop?”, war nur die erste von vielen Fragen, die bei der anfänglich flüchtigen Durchsicht aufkam. Der hellbraune Einband und die schwarz geprägte Aufschrift waren etwas verblichen, die Photos nicht gross (unterschiedlich, etwa 105 x 75 mm) und schwarz-weiss etwas kontrastarm und grobkörnig entwickelt. In der Bildgestaltung erschienen sie wenig anspruchsvoll und etwas ausdruckslos. Eindeutig handelte es sich hier um fast hundert Jahre alte Amateurphotographien, die als Andenken an Menschen und Tiere vielleicht dem General und seinen nunmehr längst verstorbenen Zeitgenossen einmal etwas bedeutet haben mögen.

Einigen Bildern liess sich jedoch trotz ihrer Beziehungslosigkeit zur Gegenwart noch eine Aussage abgewinnen. Dabei fiel zunächst ein Photo besonders auf. Es zeigte zwar nur drei Soldaten zu Pferde, aber der Bildunterschrift zufolge war der erste von links ein “Oberstleutnant Trench”: - Gut erkennbar trägt er eine britisch aussehende Uniform und Mütze!

Wer war Trench?

Ein anderes Photo zeigt sogar seinen “Diener”, der seinen Schlapphut links hochgeklappt trägt. Demnach war auch dieser mit grosser Wahrscheinlichkeit kein Schutztruppler, da diese ihre Hüte mit der schwarz-weiss-roten Kokarde in der Regel rechts hochzuklappen pflegten. Bei näherem Hinsehen gab es auch Bilder von “Trench in seinem Zelt” und in einem Liegestuhl beim Biwak mit Generalstäblern. In einer Erinnerungs-Photomappe des Generals von Trotha erscheint also ein fremder, hoher Offizier mit eigenem Burschen? Kein Index der zahlreichen damaligen und neuzeitlichen Publikationen enthielt seinen Namen. Lediglich in Maximilian Bayers Buch „Mit dem Hauptquartier in Südwestafrika“ (1) fand sich eine kleine Notiz über einen britischen Attaché Trench, der dort auch auf einem undeutlichen Gruppenphoto vom Generalstab anhand der Bildunterschrift auszumachen ist. Aus welchen Gründen wurde er anderswo nicht erwähnt?

Der während des 1. und 2. Weltkrieges in Europa als britischer Geheimdienstler tätige Oberst A.P. Scotland berichtete in seinem Buch “The London Cage” (1957) über seine Lehrjahre als Spion in DSWA während des Namakrieges und der Zeit danach bis 1914. Er erwähnt dabei einen “Major Wade” als britischen Offizier im Stabe der deutschen Schutztruppe (2). Wade war interessanter Weise in der Literatur überhaupt nicht auffindbar. Wenn Trench also auch ein Engländer war, bedeutete dies etwa, da es durchgehend hohe englische Offiziere im Stab der kaiserlichen Schutztruppe gegeben hatte? Das war nun sehr interessant! Denn wenn diese Herren, wie zu erwarten war, dienstlich und entsprechend vertraulich und zuverlässig an ihre Regierung berichtet hatten, dann mußte dies eine Quelle für objektive, unparteiische Berichte über den Kolonialkrieg sein: Zehn Jahre vor dem Verwirrspiel der Propaganda des ersten Weltkriegs würden Offiziere doch zumindest ihren eigenen Behörden zuverlässig berichtet haben? Wo waren diese Berichte? Warum waren bislang weder andere noch ich im britischen Staatsarchiv (Public Record Office) in London bei Recherchen über den Hererokrieg auf sie gestoßen? Lagen sie etwa in Südafrika? Gab es sie überhaupt?

Trotz aller anfänglichen Zweifel erwies sich eine beharrliche Fahndung nach den geheimnisvollen britischen Berichten am Ende doch als erfolgreich. Auch verhalfen glückliche Fügungen zu neuen Einblicken in die damalige Kolonialgeschichte. Diese meist bisher unveröffentlichten Quellen ergänzten sich zu dem Mosaik, das den Rahmen der vorliegenden Untersuchung füllt. Einen weiteren wichtigen Bildausschnitt davon bestimmt der letzte deutsche Kaiser:

Der deutsche Kaiser und der englische Offizier

Der Initiator folgender nicht ganz alltäglicher Zusammenhänge war der letzte deutsche Kaiser, Wilhelm II. Wie bereits im Vorjahr war er im Frühjahr 1905 wieder von Norddeutschland aus ins Mittelmeer zu einer Kreuzfahrt in See gestochen. Er hatte dazu den Hapag-Dampfer “Hamburg” gechartert und ging mit prominenten Gästen zunächst auf Kurs nach Marokko. Auf Wunsch seines Reichskanzlers von Bülow verband er dabei das Angenehme mit dem politisch Nützlichen. Er lief deshalb am 30. März 1905 Tanger in Marokko an, um dem dortigen Sultan trotz französischer Einsprüche, ja selbst Drohungen, einen Besuch abzustatten. In der Politik Europas kriselte es. Kanzler von Bülow versprach sich von diesem Besuch eine Schwächung der anglo-französischen Entente. Er veranlasste daher den Kaiser im Gegensatz zu den französischen Interessen auch des Sultans Unabhängigkeit von Frankreich zu betonen. Europa hielt den Atem an. Man fragte sich, wie Deutschlands Geste in Tanger zu werten war. Man sprach sogar von Krieg. Die Episode sollte als die “Erste Marokkokrise” in die Geschichte eingehen. Nach vollbrachtem Eklat lief der Kaiser am nächsten Tag über die Meeresenge das britische Gibraltar an. Ein Begleitschiff der “Hamburg” kollidierte dabei mit einem englischen Kreuzer. Auch sonst war der englische Empfang kühler als man ihn sich nach der Brüskierung Frankreichs erhofft hatte (3,4).

Offensichtlich wurden bei diesem Tagesbesuch in Gibraltar der Kaiser und seine Gäste von einem englischen Oberstleutnant namens Trench geführt. Dieser sprach Deutsch und kannte Afrika, vor allem das südliche Afrika, gut! Es war dies in einer England freundlichen Phase des Kaisers und der deutschen Aussenpolitik Bülows. Der Kaiser hatte, als er sich einschiffte – für die Franzosen vielleicht etwas schwer verständlich – folgendes erklärt : Es sei sein Wunsch, dass “das neu geschaffene Deutsche Reich von allen Seiten das absolute Vertrauen als eines ruhigen, friedlichen Nachbarn geniessen soll” (3). Bei dem Zusammentreffen mit dem englischen Oberst wird sich der Kaiser wohl auch an den Hinweis Bülows vom vorigen Dezember erinnert haben, da “Kriege nicht rein militärisch geführt werden, die Politik muss mitsprechen ”(4). Wegen dieser Überlegung hatte bekanntlich der Kaiser der Rücknahme der von Trothaschen Proklamation an die Herero zugestimmt.

Währenddessen war der Aufstand der Nama im Süden der deutschen Kolonie Südwestafrika bereits seit einem halben Jahr in vollem Gange, und von Trotha hatte unter dem Datum vom 20. März 1905 nach Berlin gekabelt, dass er sich auf den Weg nach Keetmanshoop begeben habe, um sein Hauptquartier näher an den Kriegsschauplatz zu bringen (5). Es war nun schon ein sehr bemerkenswerter Umstand, dass gerade zu dieser Zeit und unter diesen Bedingungen ausgerechnet und zufällig (?) Lt. Col. Trench in Gibraltar mit dem Kaiser zusammentraf.

Zur Erklärung sei darauf hingewiesen, daß Trench bereits im Burenkrieg 1899 – 1902 unter Lord Roberts in Südafrika gekämpft und sich dabei einen hohen Verdienstorden (D.S.O.) erworben hatte. Den Süden Deutsch-Südwestafrikas lernte er dabei so gut kennen, da er beim Ausbruch des Nama-Aufstandes im Oktober 1903 bereits aus dem “Moorish Castle” in Gibraltar für den Befehlshaber der Kap Polizei, Col. Neylan, eine detaillierte Beschreibung dessen verfasst hatte (6). Nach seiner Dienstauffassung war dies in Hinblick auf die Zunahme deutscher Truppen so nah am Oranje als kollegiale und patriotische Vorsichtsmanahme erforderlich. In welcher Funktion Trench den Süden DSWA während des Burenkrieges und anscheinend auch ersten Nama-Aufstandes so genau kennenlernte, ist in diesem Zusammenhang nebensächlich. Burenkrieger und Nama hatten jedenfalls des öfteren den Oranje nach beiden Seiten flüchtend oder zum Zwecke der Neuausrüstung überschritten. Wahrscheinlich war Trench “dienstlich” in DSWA gewesen und hatte sich im obligaten Diensttagebuch (service diary) Notizen gemacht.

Trenchs Wissen und Bildung, seine Kentnisse der deutschen und anderer Sprachen sowie seine guten Umgangsformen sind jedenfalls belegt (1,6,5). Sie werden dem Kaiser, der selbst fliessend Englisch sprach, und seinem Gefolge gefallen haben. Zwangsläufig wird auch vom südlichen Afrika und DSWA die Rede gewesen sein.

Vor diesem Hintergrund ist es daher glaubhaft, dass - wie Trench es darstellt - “Seine Majestät ihn bat, sich als Militärattaché für DSWA zur Verfügung zu stellen”(6). Wie, warum und entlang welcher Dienstwege inmitten der Spannungen der Marokkokrise Trench unverzüglich nach DSWA abkommandiert wurde, ist noch unklar. Fest steht, dass er sich bereits selbst telegraphisch bei von Trotha angekündigt hatte, als Reichskanzlers von Bülow am 13. Mai 1905 an von Trotha kabelte, daß Trench als Attaché zum Oberkommando Trothas befohlen worden war (5). Fest steht auch, dass Trench bereits knapp drei Wochen später, am 5. Juni, in Swakopmund eintraf und dort instruiert wurde, sich über Lüderitzbucht per Schiff und danach zu Land nach Keetmanshoop zum Stabe Trothas zu verfügen.

Trench beim Generalstab
der kaiserlichen Schutztruppe


In Keetmanshoop traf Trench zu Pferde – die Bahn gab es noch nicht – am 17. Juni mittags ein (6). Am selben Tag hatte von Trotha in einem Brief des “Namakapteins” Cornelius vom Tode und den letzten Worten seines Neffen Thilo von Trotha 1 erfahren: Seine Tagebucheintragung ist daher kurz: “Um 12 Uhr kommt der Engländer. Gut aussehend, recht gut Deutsch sprechend und von den besten Formen”.

Trench lebte sich schnell im kleinen Kreis des Stabes ein. Er berichtete sofort nach seiner Ankunft und von da an etwa vierzehntägig an sein Ministerium in London. Bis zum offiziellen Kriegsende im März 1907 verfassten Trench, und später sein Nachfolger Major Wade, Hunderte von Seiten detailliertester Berichte über DSWA. Diese wurden zum Teil wörtlich wegen ihrer Klarheit und Genauigkeit in geheime militärische Handbücher Britanniens über DSWA aufgenommen. Sie erschienen zuerst 1904 und wurden laufend auf den neuesten Stand gebracht So erschien 1913 die verbesserte Auflage von 1906. Jene war auch ohne mehrere Addenda und Routenkarten bereits über 250 Seiten stark (7). Ihre Verwendung erklärt wenigstens teilweise die verblüffende britisch-südafrikanische Blitzeroberung DSWAs im ersten Weltkrieg. Die Berichte, vor allem diejenigen von Trench, sind Paradebeispiele britischen Understatements und kaltschnäuziger Sachlichkeit – aber auch hintergründigen Humors. Sie waren daher für Propagandazwecke denkbar ungeeignet, und wir finden sie nicht als Quellen der Gerüchteküchen für Blue Books und dergleichen Winkelzüge. 2

Nachdem wir den Spuren des Oberst Trench bis Keetmanshoop gefolgt sind, begeben wir uns nun auf die Suche nach dem Ursprung der “Photomappe”, die ja auch ihren Weg in diesen Ort gefunden haben soll. Kam die Mappe wirklich, wie es auf dem Einband steht, von v. Trotha selbst, denn wie sollte man sich den gefürchteten Kriegsherrn als Phototourist vorstellen? Hinweise dafür verschaffte der Photograph persönlich.

Der General

Weil General von Trotha meist ausschließlich in seiner Funktion als Militarist gesehen wird, ist über ihn im Übrigen wenig bekannt – so auch nicht, dass zu seinen vielseitigen anderweitigen Interessen das Photographieren gehörte.

Eine kurze Digression sei hier daher erlaubt: Bereits bei seinem mehrjährigen Aufenthalt als stellvertretender Gouverneur und Kommandeur der Schutztruppe in Ostafrika 1894 – 97 hatte von Trotha sich naturwissenschaftlich hervorgetan. Hunderte von Kilometern fern jeglicher Zivilisation hatte er sich mit einer kleinen Truppe an den zentralafrikanischen Seen und im Norden der ostafrikanischen Kolonie einige Jahre lang aufgehalten und dabei ungezählte Abenteuer bestanden – die ihm angedichtete Unterdrückung des Wahehe-Aufstandes fiel zwar in diese Zeit, gehört aber nicht dazu. Während dieser Zeit arbeitete er hauptsächlich geographisch und kartographierte ungefähr 5000 km². Nebenbei sammelte er für deutsche Museen Pflanzen, Steine und Vögel – einige der letztgenannten wurden sogar nach ihm benannt (8). Auch für seinen Aufenthalt im damaligen DSWA hatte er sich mit naturwissenschaftlichem Instrumentarium ausgerüstet, das ihn allerdings wegen der groen Transportschwierigkeiten erst verspätet auf dem Marsch erreichte. Einen mitgenommenen Geographen beorderte der General daher zunächst zur Etappe. Dennoch unternahm er während des Hin- und Rückmarsches nach und vom Waterberg zum Teil gewagte und riskante Jagd-, Beobachtungs- und Sammelausflüge. Auch seine Route von Epata, östlich Otjinenes gelegen, zurück nach Windhoek im Oktober 1904 kartographierte er und korrigierte damit einen Teil der allgemein als ungenau beklagten “Kriegskarte”. Am 3. August 1904 hatte ihn sein mit dem Tross zurückgebliebener Photoapparat auf dem Anmarsch nach Waterberg in “Erindi Ongoahere” 3 erreicht . Der General machte nun Aufnahmen vom Abmarsch nach Ombuatjipiro 4, sowie vom Marsch über Hamakari nach Windhoek und danach bis zu der Abreise aus dem Süden. Im Laufe seines Aufenthalts im Lande sammelte er wieder zoologische und botanische Exemplare und Proben für Institute in Berlin. Von seinen ornithologischen Funden wird berichtet, dass zwei Vogelarten nach ihm benannt wurden, wovon die eine – der Rotbraune Weber – noch bis in die neueste Zeit unter Ploceus rubriginosus trothae bekannt war (9). In der Regenzeit 1904/05 legte der General ein Herbarium an, u.a. aus den Gräsern des Gammams Riviers bei Windhoek. Von Keetmanshoop aus korrespondierte er später mit dem Schweizer Botaniker Schinz, der 1884-87 DSWA bereist hatte und darüber ein bedeutendes Buch veröffentlichte. Von Trotha nahm Anteil an dem harten Schicksal jedes seiner Reitpferde, von denen die meisten den übermässigen Anstrengungen des Feldzuges erlagen. Einen Hund, “Oorlog named”, legte er sich Anfang 1905 in Aris, südlich Windhoeks, auf dem Zug in den Süden zu. Sein Photoapparat begleitete ihn bis zu seinem Abschied von DSWA im November 1905 und wurde noch für Aufnahmen auf dem Ritt nach Lüderitzbucht und auf der Seereise in die Heimat benutzt (5).

Dadurch, daß die Bildunterschriften der “Photomappe” Namen, Motive und Ereignisse aufweisen, die auch von Trothas Tagebücher beschreiben, belegen sie eindeutig den General persönlich als den Photographen.

 
Der Amtmann

Wie kam nun die Mappe zu “irgendwelchen Schmidts” nach Keetmanshoop?

Fast drei Jahre nach von Trothas Heimreise schreibt der Bezirksamtmann von Keetmanshoop, Karl Schmidt, im August 1908 einen Brief an den General. Darin bedankt er sich bei seiner “Hochverehrten Excellenz” für die “prachtvolle Photographiemappe”, die er stolz als “Schmuck- und Erinnerungsstück an die Kriegsjahre in Ehren halten und besonders beim letzten Blatt ‘der General’, des gütigen Gebers oft und gern gedenken will.” (5) So also kam die “Photomappe” nach Keetmanshoop. Danach kam sie durch freundliche Vermittlung geschichts-beflissener Nachfahren der Familie Schmidt nach Swakopmund in das Archiv der Sam-Cohen-Bibliothek.

Doch nehmen wir die Spur von Trench wieder auf.

Wie kam nun der dem Generalstab attachierte britische Oberst im Anschluß an General von Trothas Rückkehr nach Deutschland zu längeren Aufenthalten in Swakopmund und Windhoek? Auch dies ließ sich klären, und wir greifen dazu wieder etwas zurück:

Mit seiner “Ordre” vom 19. August 1905 hatte der Kaiser “Gouverneur Leutwein den erbetenen Abschied bewilligt und Generalkonsul von Lindequist zum Gouverneur ernannt”. Das war nun etwas unklar, denn Leutwein war zwar bisher Gouverneur gewesen, General von Trotha hatte aber die “oberste Gewalt in der Kolonie”. Jetzt aber sollte er nur die “oberste Leitung der Gouvernementsgeschäfte Kolonialabteilung in Vertretung” behalten, während Generalkonsul v. Lindequist vorläufig noch zu einem längeren Aufenthalt in Deutschland weilte. Nach einigen weiteren Telegrammwechseln klärt sich die Lage: Am 2. November wird von Trotha vom Kaiser mit dem Orden Pour le mérite ausgezeichnet. Dies erfährt er am 3. November und einen Tag später legt er in einem drastischen Schritt mit dem bekannten Kommandobefehl 5 vom 4. November 1905 sein Kommando der Schutztruppe nieder. Dies “übernimmt in Vertretung der Oberst Dame” (5). Der General hatte ursprünglich angenommen, dass sein Stab mit ihm zusammen nach Deutschland zurückkehren würde – für den bevorstehenden “Kleinkrieg” würde man ohne Generalstab auskommen. Somit hätte Oberst Trench als Attaché den Stab begleitet und wäre auch abgereist. Aber es sollte anders kommen.
 

Der Ritt nach Lüderitzbucht

Am Donnerstag, dem 9. November, Nachmittags um 4 Uhr verlässt von Trotha mit seinem Stab, Trench, dem Amtmann Schmidt und nur wenigen Reitern als Bedeckung Keetmanshoop. „Der Engländer“ ist über diese leichtsinnig geringe Bedeckung empört und reitet grimmig schweigend mit dem Karabiner in der Hand (5). Es wird scharf geritten – entlang der erst seit kurzer Zeit funktionierenden Telegraphenlinie nach Lüderitzbucht – und es wird während der ersten Tage gefechtsbereit und nur kurz bei geeigneten Telegraphenstationen geschlafen. Am dritten Tage lahmt der Rappe Adalbert – das letzte Pferd, das noch aus dem Hererofeldzug stammt – und muß zurückgelassen werden. Am Sonntagmorgen, dem 12. November, wird die Telegraphenstation Schwarze Kuppe erreicht. Dort geht im Lauf des Vormittags als Neuigkeit und zunächst unbestätigte Nachricht der Bericht vom Tode Hendrik Witboois ein: Hendrik war bereits 14 Tagen zuvor an einer Verwundung gestorben. Oft wird der Tod Hendriks als Grund für von Trothas Ablösung und Abreise angegeben. Dem ist allerdings nicht so, denn von Trotha erreichte diese Nachricht, wie man sieht, erst acht Tage nach seiner Kommandoübergabe und drei Tage nachdem er aus Keetmanshoop in Richtung Lüderitzbucht abgereist war. Am darauf folgenden Mittwoch, dem 15. November, erreichte die Reisegesellschaft die Telegraphenstation Letterkop, etwa 40 km westlich des heutigen Aus. Dort erhielt Oberst Trench ein Telegram: “To resume his duty till the end of the war:” Also hatte er im Lande zu bleiben. Diese Hiobsbotschaft und die Anstrengungen der Reise erschöpften den Oberst vollends (5), zumal die beiden, nicht mehr ganz jungen, hohen Offiziere von Trotha und Trench – Trotha war im Juli 57 Jahre alt geworden –die 360 km von Keetmanshoop in gut sieben Tagen in Etappen von bis zu 75 km am Tag geritten waren. Sie trafen am 17. November um 8.30 Uhr morgens in Lüderitzbucht ein. “Mächtig viel gebaut; sehr hübsch. Das Meer; Schiffe über die Toppen; englische Buren; three cheers for the governor. Eisenbahn. In Parade, Musik; Jeremias (Reitpferd, Anm. d. Verf.) vergisst alle Müdigkeit; gut untergekommen; geschlafen, gewaschen; allen Staub von Afrika, von Leib und Seele. Basta!”, so beschrieb es der General. Er übergab dem Generalkonsul von Lindequist nach dessen Ankunft mit der “Prinzregent” aus Deutschland via Kapstadt am nächsten Tage die Gouvernementsgeschäfte. Während des sich daran anschließenden Banketts lief die Bestätigung des Todes Hendrik Witboois per Heliogramm beim Bezirksamtmann Schmidt ein. Er konnte diese wichtige Bestätigung dem General zu dessen großer Erleichterung nach dem Essen überbringen (10). Am Sonntag, dem 19. November 1905, nachts um 12 Uhr schiffte man sich auf der “Prinzregent” ein: der neue Gouverneur nach Swakopmund, der General weiter nach Deutschland, wo er am 14. Dezember 1905 in Hamburg von Bord ging.

Oberst Trench berichtet, der General habe am 18. November in Lüderitzbucht aus Berlin die Anordnung erhalten, entgegen seiner bisherigen Auffassung seinen gesamten Stab im Lande zurückzulassen. Laut Photomappe und Generalstabsbericht begleitete ihn jedoch zumindest der Generalstabschef Oberstleutnant von Redern.

Berichte, Beförderung und Berlin

Trench bleibt mit dem Stab zurück. Über Lüderitzbucht schreibt er ausführlich. Hafenbeleuchtung, Wasserversorgung, Baulichkeiten, Eisenbahn usw. finden sein Interesse. Sein Bericht vom 24. November 1905 befat sich auch u.a. mit Hererogefangenen: 150 Männer, ebensoviel Frauen und 50 Kinder auf der Haifischinsel wären schlecht untergebracht, schwach und frören. Dysenterie und Lungenentzündung seien die Folge: “Dante hätte eine Inschrift für das Tor schreiben können.” Bei seinem nächsten Besuch im Februar 1906 hält er fest, da sich die Zustände erheblich gebessert hätten (6).

Trench hatte sich bei von Trotha und von Lindequist schon vor deren Abreise die Erlaubnis für einen Aufenthalt von “ein paar Wochen” in Swakopmund und Windhoek eingeholt. Seiner Dienststelle gegenüber begründete er diese Exkursion damit, da es dort Informationen gäbe, die sonst nirgendwo zu finden seien. Er begab sich also zunächst mit dem Stab auf den Weg zurück nach Keetmanshoop, um zum neuen Kommandeur Oberst Dame zu stossen. Unterwegs vergewisserte er sich bei Dame, der wegen einer Typhuserkrankung noch in Windhoek war, daß vorläufig im Namaland keine grösseren Operationen stattfinden würden. Mit ausdrücklicher Zustimmung Dames kehrte Trench daraufhin unterwegs um und begab sich über Lüderitzbucht nach Swakopmund und Windhoek. Vor Ort sammelte er überall umfangreiche bis ins kleinste Detail gehende Informationen, die von großer Vertrauensseligkeit der Informanten zeugen. Sein Bericht über Swakopmund – ein “markantes” Ergebnis und Schlußstein dieses Mosaiks – wird auszugsweise nachfolgend in einem gesonderten Beitrag wiedergegeben.

Von Swakopmund aus begibt sich Trench nach Abschluss seines Besuchs dort Ende Februar 1906 über Lüderitzbucht mit der “R.M.S. Briton” (Royal Mail Steamer) auf die Heimreise. In der Zwischenzeit hatte ihn die Nachricht von seiner Ernennung am 5. Februar 1906 zum britischen Militärattaché bei der britischen Botschaft in Berlin erreicht! Diesen Posten trat er Ende März in Berlin an. Er blieb auch dort weiterhin ausdrücklich verantwortlich für die Bearbeitung der amtlichen Truppenberichte aus Deutsch-Südwestafrika.

Am 15. März hatte inzwischen der Kaiser seine Zustimmung zur Ernennung des eingangs bereits erwähnten britischen Majors Wade als Attaché im verkleinerten Stabe Oberst Dames gegeben. Auch Major Wade berichtete bis zum Kriegsende ebenso sorgfältig wie Trench vor ihm nach London (6).

Es mutet daher fast wie eine Ironie des Schicksals an, da es ausgerechnet Oberst Trench zufiel, seiner Regierung am 18. März 1907 aus seiner Botschaft in Berlin das Ende des Krieges in DSWA mitzuteilen: Durch kaiserliche Ordre vom 6. März 1907 sei der Kriegszustand in DSWA mit Wirkung des 31. März 1907 beendet. Unter anderem sei der Stabschef seiner Aufgabe enthoben und der Stab baldmöglichst aufzulösen. So berichtet der Attaché Trench unter dem Datum des 18. März 1907 aus seiner Botschaft in Berlin. Es ist sein XLII (42.ster) Bericht seit er zum Attaché und nach DSWA berufen wurde.

Trench blieb auch nach diesem Kriegsende der wißbegierige Militärattaché der britischen Botschaft in Berlin. Bald würde er zum Beispiel aus München über seine Beobachtungen von Experimenten mit einem neuen deutschen Sprengstoff berichten. Er erhielt seine Verbindungen zu Bekannten aus DSWA während seiner Berliner Zeit aufrecht (6), die zu General von Trotha bis zum Juni 1914 (5). Auch weiterhin schrieb er mit seiner schönen Handschrift römisch numerierte Berichte nach London. Er wurde vom Kaiser empfangen und dekoriert.

Damit könnten wir den Obersten F.A.J. Trench D.S.O., R.A., O.B.E. und Träger weiterer hoher Orden wieder in das Dunkel der Geschichte entlassen.

Doch wo der Weg begann, soll er auch enden. War der Weg das Ziel? Dort, wo ein kleines hundertjähriges Bildnis in der Bibliothek für einen winzigen Augenblick seine Unscheinbarkeit preisgab, wo wegen einer Bildunterschrift eine Forschungsreise ihren Anfang nahm, wollen wir enden – in Swakopmund.

 

1  - Es handelte sich hier nicht um Thilo, den Sohn des Generals, wie es in fast allen Geschichtsbüchern fälschlicherweise angegeben wird. Ihn, der den Vater als Adjudant nach DSWA begleitet hatte, beurlaubte der General im September 1905 aus familiären Gründen nach Deutschland. Der Neffe, Leutnant der Reserve und Veteran des Burenkrieges, Thilo von Trotha, war am 14. Juni bei Kanibes allein ins Lager des kriegsmüden Cornelius zu Übergabeverhandlungen geritten, als er infolge eines Mißverständnisses hinterrücks erschossen wurde (5).

2 - siehe Allgemeine Zeitung, Windhoek, 1.August 2003, Leserbrief: Einordnung des Blue Books.

3 - eigentlich nur Ongoajahere; diese Kalkpfannen liegen auf der heutigen Farm Penwood No 385 und waren also kein Erindi = Vley = „Regenteiche“.

4 - auf der heutigen Farm Dei Gratia No 389.
5 - Faksimile in Dincklage – Campe, “Deutsche Reiter”; Abschriften in mehreren einschlägigen Veröffentlichungen.

Literatur und Quellenhinweise:

(1): Bayer, Maximilian: Mit dem Hauptquartier in Südwestafrika,1909.
(2): Scotland A.P. The London Cage, 1957.
(3): Balfour M. Der Kaiser, Propyläen 1964.
(4): von Bülow, Denkwürdigkeiten, 1930.
(5): von Trotha, L.: Tagebücher, unveröffentlicht.
(6): Reports by Lt. Col. Trench and Major Wade, Public Record Office (PRO) Kew, London.
(7): Military Reports on German South West Africa by General Staff War Office, 1906 and 1913. [P.R.O.] Public    Record Office, Kew, London.
(8): Deutsches Kolonialblatt 1894 – 97. Berichte über Deutsch Ost-Afrika.
(9): Hoesch, Die Vogelwelt Südwestafrikas, 1955 und Roberts (796) 812.
(10):Nuhn W. Feind überall, 2000.