Flaggen in den deutschen Schutzgebieten

Die Flaggen der Ralik-Inseln
von Jörg M. Karaschewski

In den wenigen flaggenkundlichen Publikationen, die auch das Thema Flaggen in den Deutschen Schutzgebieten streifen, wird immer wieder die sogenannte Flagge der Ralik-Inseln zusammen mit Flaggen von deutschen Handelshäusern in den Kolonien und Flaggen von Kolonialgesellschaften gezeigt.
Die Publikationen beziehen sich bei der Flagge allesamt offensichtlich ausschließlich auf ein Zigarettenbild aus der 30er Jahren, das folgende Flaggenabbildung zeigt und vermutlich die einzige Abbildung und Informationsbasis dieser Flagge ist:

 

 

Das Bild trägt folgende Beschriftung:
DEUTSCHES REICH Flagge der Ralik-Inseln (19.11.1878 bis 15.10.1885)

 

Nach Aussage dieser Beschriftung wurde die Flagge bereits sieben Jahre vor der Deutschen Schutzherrschaft genau bis zum Datum der Errichtung des Schutzgebietes geführt. Über den tatsächlichen Status der Flagge (z.B. Handelsgesellschaft, Kolonialgesellschaft etc.) gibt die Karte keine Auskunft.

Zu den Marschallinseln gehören 34 Atolle, die sich in zwei parallel verlaufende, jeweils etwa 1100 km lange Inselketten gliedern. Die östliche Kette trägt den Namen Ratak, "Sonnenaufgang", und umfaßt 16 zum Teil sehr große Atolle. Die westliche
Inselgruppe heißt Ralik, "Sonnenuntergang", und zählt 18 Atolle. Der Durchmesser der meisten Atolle beträgt mehrere Kilometer. Kwajalein, das größte Atoll, ist sogar 283 km lang und umschließt eine 1360 km2 große Lagune. Die bekannteste der Inseln ist sicherlich Bikini, aufgrund der amerikanischen Atomwaffentests nach dem 2. Weltkrieg und der nach ihr benannten Badebekleidung.
Eine weit verstreute und dünn besiedelte Inselwelt in der Südsee.
Der Name der Inseln geht zurück auf den britischen Kommandanten der "Scarborough", Kapitän John Marshall, der 1788 die Inseln erstmals kartographisch erfasste.

Am 15.10.1885 wurde durch den Korvettenkapitän der SMS Nautilus Rötger auf Jaluit die Reichsflagge gehisst und die offizielle
Schutzherrschaft der Deutschen über die Marschall-Inseln begonnen. Diese Schutzherrschaft bezog sich auf die Ralik-Kette, die Ratak-Kette, die Brown-Kette, die Eniwetok-Inselgruppe und die Providence-Inseln.

 

Nach den bisher bekannten Informationen müsste seit diesem Tag die Flagge der Ralik-Inseln verschwunden sein. Am 12. Mai 1893 jedoch schreibt der Kaiserliche Kommissar für das Schutzgebiet der Marschall-Inseln an das Reichsamt des Innern:

Mit vorliegendem möchte ich die Aufmerksamkeit Eurer Exzellenz auf eine Tatsache lenken, die, so weit ich es habe feststellen können, bislang unbeachtet und unerwähnt geblieben ist.

Verschiedene der hiesigen Häuptlinge besitzen eigene kleine Fahrzeuge, mit denen sie zwischen den einzelnen Inseln Personen befördernd und Kopra ladend, hin und her fahren. Die Häuptlinge der Insel Arno tragen sich jetzt sogar mit dem Gedanken ein größeres Schiff im Preise von M 30.000, ausschließlich für den Koprahandel bestimmt, zu erstehen.

Auf alle diese Fahrzeuge könnte dem Charakter nach sehr wohl die in Folge des § 17 der Preuß. Verordnung betreffend die Registrierung von Seeschiffen (27. Februar 1862) erlassene Ausnahmebestimmungen zur Anwendung gebracht werden d.h. auch diese Schiffe könnten die Erlaubnis erhalten, ohne vorherige Eintragung in ein Schiffsregister und Erteilung eines Zertifikates die deutsche Kriegsflagge führen zu dürfen.

Bislang führen alle diese Fahrzeuge, sechs an der Zahl, von denen 3 über 50 cbm, 2 über 100 cbm Brutto-Rauminhalt messen, eine Fantasieflagge, hier Marschall-Flagge genannt, schwarz weiß rot weiß schwarz, die den Häuptlingen in längst vergangenen Zeiten einmal irgendjemand verliehen hat.

Wenngleich nun auch nicht im entferntesten zu behaupten ist, dass in dieser Flaggenführung der Ausdruck irgend welcher nach Selbstständigkeit ringender Bestrebungen verborgen wäre, so dürften doch das Ansehen der deutschen Schutzherrschaft und das Bewusstsein der Eingeborenen, nunmehr deutsche zu sein, nur gekräftigt werden, wenn denselben auch durch ihre eigenen Schiffe bestätigt die deutsche Flagge vor Augen geführt würde....

Bereits nach den ersten Jahren der deutsche Schutzherrschaft war somit über die Herkunft der Flagge nichts mehr bekannt. Das Schreiben belegt jedoch, dass diese Flagge tatsächlich geführt worden ist. Zudem widerlegt dieses Schreiben die bisherigen Informationen zu dieser Flagge, denn Sie wurde auch nach Errichtung der deutschen Schutzherrschaft, über den 15.10.1885 hinaus geführt.

Wo lag nun der Ursprung dieser Flagge?
Im November 1878 bewegte sich die Kreuzerkorvette SMS Ariadne in den Marschall Inseln auf der Suche nach einem geeigneten Hafen für eine deutsche Kohlestation.

 

SMS AriadneKapitän zur See Karl Bartholomäus von Werner wurde schließlich auf der Insel Jaluit fündig. Am 19.11.1878 schließt Kapitän von Werner mit den Oberhäuptlingen von Jaluit einen Vertrag ab, der neben einigen Rechten und Vorteilen auch die exklusive Anlage einer Kohlestation gewährleistete.

Im Rahmen dieses Vertragsabschlusses überreichte Kapitän von Werner am letzten Tag seines Aufenthaltes den Oberhäuptlingen eine eigens für diesen Zweck hergestellte Flagge (die vermutlich durch den Segelmacher der SMS Ariadne hergestellt wurde) in dem bekannten schwarz weiß rot weiß schwarzen Muster. Die Flagge hat also tatsächlich deutschen Ursprung und ist ein interessantes Objekt der präkolonialen Ära, denn sie repräsentierte tatsächlich die Eingeborenen.

Die Flagge wurde von den Eingeborenen gut angenommen und im Laufe der Jahre immer weiter verbreitet geführt. Der Hafen von Jaluit wurde z.B. in 1883 von 67 Schiffen angefahren, davon allein 11 unter der Ralik-Flagge. Sie wurde vollständig als eigenes Symbol durch die Eingeborenen angenommen.

Das vorgenannte Schreiben des kaiserlichen Kommissars für das Schutzgebiet der Marschall-Inseln setzte eine komplexe und langwierige Behördenmaschinerie in Gang als deren Ergebnis den Eingeborenen des Schutzgebietes durch „Allerhöchste Verordnung“ vom 19. September 1893 das Recht zur Führung der Reichsflagge für ihre Schiffe zugesprochen wurde.

Da der eigentliche Ursprung der Flagge den deutschen Behörden nicht mehr bekannt war und man gegebenenfalls auftretenden separatistischen Tendenzen entgegenwirken wollte, wurde die Führung der Marschall-Flagge am 07. März 1894 durch den Landeshauptmann verboten.

Als Fazit bleibt festzuhalten: Die sogenannte „Flagge der Ralik-Inseln“ wurde zur Zeit ihrer Führung primär auch als Marschall-Flagge bezeichnet. Entgegen der bisher bekannten Information wurde die Flagge über den Stichtag der Errichtung des Schutzgebietes hinaus bis zum 07.03.1894 geführt. Es handelt sich nicht um eine Kolonialflagge im eigentlichen Sinne, sondern um eine in der deutschen und vielleicht auch internationalen Kolonialgeschichte einmalige Form der Flaggenentstehung.

 

Vielen Dank an Dr. Andreas Herzfeld für seine Recherchen im Bundesarchiv, an Arne Schöfert vom Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen Freunde der früheren deutschen Schutzgebiete e.V. für seine wertvollen Hinweise und an Ralph Anton, der mir das Bild der SMS Ariadne von seiner Homepage www.Deutsche-Schutzgebiete.de zur Verfügung stellte.