Nach den bisher bekannten Informationen
müsste seit diesem Tag die Flagge der Ralik-Inseln verschwunden sein. Am 12.
Mai 1893 jedoch schreibt der Kaiserliche Kommissar für das Schutzgebiet der
Marschall-Inseln an das Reichsamt des Innern:
Mit vorliegendem möchte ich die Aufmerksamkeit Eurer Exzellenz auf eine Tatsache
lenken, die, so weit ich es habe feststellen können, bislang unbeachtet und
unerwähnt geblieben ist.
Verschiedene der hiesigen Häuptlinge besitzen eigene kleine Fahrzeuge, mit denen
sie zwischen den einzelnen Inseln Personen befördernd und Kopra ladend, hin
und her fahren. Die Häuptlinge der Insel Arno tragen sich jetzt sogar mit dem
Gedanken ein größeres Schiff im Preise von M 30.000, ausschließlich für den
Koprahandel bestimmt, zu erstehen.
Auf alle diese Fahrzeuge könnte dem Charakter nach sehr wohl die in Folge des
§ 17 der Preuß. Verordnung betreffend die Registrierung von Seeschiffen (27.
Februar 1862) erlassene Ausnahmebestimmungen zur Anwendung gebracht werden d.h.
auch diese Schiffe könnten die Erlaubnis erhalten, ohne vorherige Eintragung
in ein Schiffsregister und Erteilung eines Zertifikates die deutsche Kriegsflagge
führen zu dürfen.
Bislang führen alle diese Fahrzeuge, sechs an der Zahl, von denen 3 über 50
cbm, 2 über 100 cbm Brutto-Rauminhalt messen, eine Fantasieflagge, hier Marschall-Flagge
genannt, schwarz weiß rot weiß schwarz, die den Häuptlingen in längst vergangenen
Zeiten einmal irgendjemand verliehen hat.
Wenngleich nun auch nicht im entferntesten zu behaupten ist, dass in dieser
Flaggenführung der Ausdruck irgend welcher nach Selbstständigkeit ringender
Bestrebungen verborgen wäre, so dürften doch das Ansehen der deutschen Schutzherrschaft
und das Bewusstsein der Eingeborenen, nunmehr deutsche zu sein, nur gekräftigt
werden, wenn denselben auch durch ihre eigenen Schiffe bestätigt die deutsche
Flagge vor Augen geführt würde....
Bereits nach den ersten Jahren der deutsche Schutzherrschaft war somit über
die Herkunft der Flagge nichts mehr bekannt. Das Schreiben belegt jedoch, dass
diese Flagge tatsächlich geführt worden ist. Zudem widerlegt dieses Schreiben
die bisherigen Informationen zu dieser Flagge, denn Sie wurde auch nach Errichtung
der deutschen Schutzherrschaft, über den 15.10.1885 hinaus geführt.
Wo lag nun der Ursprung dieser Flagge?
Im November 1878 bewegte sich die Kreuzerkorvette SMS Ariadne in den Marschall
Inseln auf der Suche nach einem geeigneten Hafen für eine deutsche Kohlestation.
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Kapitän
zur See Karl Bartholomäus von Werner wurde schließlich auf der Insel Jaluit
fündig. Am 19.11.1878 schließt Kapitän von Werner mit den Oberhäuptlingen von
Jaluit einen Vertrag ab, der neben einigen Rechten und Vorteilen auch die exklusive
Anlage einer Kohlestation gewährleistete.
Im Rahmen dieses Vertragsabschlusses überreichte Kapitän von Werner am letzten
Tag seines Aufenthaltes den Oberhäuptlingen eine eigens für diesen Zweck hergestellte
Flagge (die vermutlich durch den Segelmacher der SMS Ariadne hergestellt wurde)
in dem bekannten schwarz weiß rot weiß schwarzen Muster. Die Flagge hat also
tatsächlich deutschen Ursprung und ist ein interessantes Objekt der präkolonialen
Ära, denn sie repräsentierte tatsächlich die Eingeborenen.
Die Flagge wurde von den Eingeborenen gut angenommen und im Laufe der Jahre
immer weiter verbreitet geführt. Der Hafen von Jaluit wurde z.B. in 1883 von
67 Schiffen angefahren, davon allein 11 unter der Ralik-Flagge. Sie wurde vollständig
als eigenes Symbol durch die Eingeborenen angenommen.
Das vorgenannte Schreiben des kaiserlichen Kommissars für das Schutzgebiet der
Marschall-Inseln setzte eine komplexe und langwierige Behördenmaschinerie in
Gang als deren Ergebnis den Eingeborenen des Schutzgebietes durch „Allerhöchste
Verordnung“ vom 19. September 1893 das Recht zur Führung der Reichsflagge für
ihre Schiffe zugesprochen wurde.
Da der eigentliche Ursprung der Flagge den deutschen Behörden nicht mehr bekannt
war und man gegebenenfalls auftretenden separatistischen Tendenzen entgegenwirken
wollte, wurde die Führung der Marschall-Flagge am 07. März 1894 durch den Landeshauptmann
verboten.
Als Fazit bleibt festzuhalten: Die sogenannte „Flagge der Ralik-Inseln“ wurde
zur Zeit ihrer Führung primär auch als Marschall-Flagge bezeichnet. Entgegen
der bisher bekannten Information wurde die Flagge über den Stichtag der Errichtung
des Schutzgebietes hinaus bis zum 07.03.1894 geführt. Es handelt sich nicht
um eine Kolonialflagge im eigentlichen Sinne, sondern um eine in der deutschen
und vielleicht auch internationalen Kolonialgeschichte einmalige Form der Flaggenentstehung.
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