Vor dem Ersten Weltkrieg
genoß Deutschland als Kolonialmacht in England einen guten Ruf. Die
kolonialen Leistungen wurden besser bewertet als diejenigen der übrigen
Kolonialmächte. Nach Kriegsbeginn gewannen die Kräfte an Einfluß, die eine
Annexion der deutschen Schutzgebiete forderten. Zur Umstimmung der
öffentlichen Meinung begann eine Verleumdungskampagne gegen die deutsche
Kolonialherrschaft.
Nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten wurden die sogenannten
„Blaubücher“ richtungweisend für diese Diffamierungsstrategie. Dabei ging
es mit Blick auf Frankreich und die Dominien um das angebliche Streben
Deutschlands nach Weltherrschaft und, zur Beeinflussung der amtlichen und
öffentlichen Meinung in den Vereinigten Staaten, um die angeblich von
Deutschen verübten Grausamkeiten an der eingeborenen Bevölkerung.
Die ungerechtfertigte Wegnahme der deutschen Kolonien im Versailler
Vertrag stand im Widerspruch zu der auch von Deutschland akzeptierten 14
Punkte-Erklärung des US-Präsidenten WILSON. Die Begründung für die
Wegnahme entsprach den „Lügen-Blaubüchern“, die diese Bezeichnung später
auch von britischer Seite erhielten.
Die darin enthaltenen Behauptungen der Unfähigkeit deutscher
Kolonialbeamter und Brutalität der Schutztruppen-Offiziere wurde von allen
Parteien des Reichstages zurückgewiesen und als „Kolonialschuldlüge“
bezeichnet.
Bereits 1926 wurden die „Blaubücher“ von offiziellen britischen Stellen
zurückgezogen, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hatten. Zur gleichen Zeit
setzte auch Premierminister HERZOG, auf Antrag des SWA-Landesrates, das
„Blaubuch für Südwestafrika“ außer Kraft.
In der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg berichteten die
Autoren teilweise in einseitig positiver und besonders heroischer Weise
über die deutsche Kolonialgeschichte und den Einsatz der Schutztruppe. Die
von enteigneten Farmern und Geschäftsleuten erhoffte Rückgabe ihres
Besitzes der Schutzgebiete lag nicht im Interesse der Alliierten, und war
auch von der Reichsregierung nicht beabsichtigt.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die deutsche Kolonialgeschichte vor allem
von „marxistischen Historikern“ der DDR im Sinne der SED-Ideologie
beschrieben, und die unabhängig gewordenen Staaten Afrikas vor dem
angeblichen „Neo-Kolonialismus der BRD“ gewarnt.
1966 erschien das Buch von Horst DRECHSLER mit dem Titel „Südwestafrika
unter deutscher Kolonialherrschaft. Der Kampf der Herero und Nama gegen
den deutschen Imperialismus (1884 - 1915)“. Die in London längst in der
Versenkung verschwundenen „Blaubücher“ erlebten durch das DRECHSLER´sche
Buch eine unerwartete Renaissance. Beim Lesen dieser Lektüre ist unschwer
eine Assoziation mit den Veröffentlichungen der HVA-Abteilung X
„Desinformation“ im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit (Stasi)
der DDR erkennbar.
Unter Leitung vom Generalmajor Horst VOGEL und Oberst Rolf WAGENBRETH nahm
die Abteilung X der Stasi durch raffiniert gefälschte Berichte über
Politiker der CDU, angebliche Nazi-Offiziere der Bundeswehr oder Maßnahmen
der Regierung, Einfluß auf die Politik der BR-Deutschland.
In der gleichen Weise hat Herr DRECHSLER durch eine Negativauslese der
Informationen aus dem Aktenmaterial des Reichskolonialamtes in Potsdam und
durch Verschweigen der ebenso feststehenden positiven Geschehnisse zu
einer wahrheitswidrigen Darstellung der deutschen Kolonialgeschichte in
Südwestafrika / Namibia beigetragen. Diese einseitige Betrachtungsweise
widerspricht jeder seriösen Forschungsarbeit der Historiker. – Im
Kaiserreich hatten die Kolonialgegner die Möglichkeit, jeden Mangel in der
Verwaltung und jedes Vergehen einzelner Beamter oder Offiziere
anzuprangern. DRECHSLER hat das Fehlverhalten einzelner pauschaliert und
mit einer tendenziösen Argumentation des XXII. Parteitages der KPdSU in
seinem Buch präsentiert.
Der renommierte französische Kolonialhistoriker Robert CORNEVIN
widersprach 1969 diesen „ostdeutschen Historikern“ in seinem Buch „Histoire
de la colonisation allemande“. Der unvoreingenommene Wissenschaftler
würdigte, nach gründlichen Recherchen in den ehemaligen deutschen
Schutzgebieten, den dreißigjährigen deutschen Kolonialbeitrag im
internationalen Vergleich.
Der Franzose beschrieb in objektiver Weise auch die Schattenseiten des
Kolonialismus und bezeichnete schließlich die letzten sieben Jahre vor
Ausbruch des Ersten Weltkrieges als das goldene Zeitalter der deutschen
Kolonisation. Als Gründe für den Aufschwung nannte er u.a. Maßnahmen zur
Verbesserung der Lebensqualität der eingeborenen Bevölkerung durch den
Leiter des Reichskolonialamtes Dr.DERNBURG.
In Südwestafrika war diese positive Entwicklung wegen der Aufstände und
deren Folgen vor dem Ende der Kolonialzeit nicht erkennbar.
Der bekannte britische Kolonialhistoriker William O. HENDERSON äußerte
sich über den deutschen Kolonialbetrag in ebenso positiver Weise in seiner
1962 veröffentlichten Schrift „Studies in German Colonial History“ mit
folgenden Worten: »Vieles, was über Deutschlands überseeische Besitzungen
geschrieben wurde, ist durch Propaganda vergiftet. Die Schwierigkeiten,
die den Weg versperren, um festzustellen, was sich zwischen 1884 und 1914
in den deutschen Kolonien wirklich ereignete, sind eine Herausforderung
für den Historiker. Es ist wichtig, daß die Spreu vom Weizen getrennt und
die Wahrheit ermittelt wird. «
Die namibische Historikerin Brigitte LAU war von 1991 bis zu ihrem
tödlichen Autounfall 1996 Leiterin des Nationalarchivs von Namibia. In
einer Broschüre mit dem Titel „Ungewisse Gewißheiten. Der Herero- Deutsche
Krieg von 1904“ bezeichnete sie die vom DDR-Historiker Horst DRECHSLER
angegebene Zahl der Hererobevölkerung vor dem Kampf am Waterberg mit
80.000 Personen als viel zu hoch, und die der Überlebenden des Kampfes und
der Flucht mit 15.000 als viel zu niedrig. Vor allem unterstellt sie ihm
unglaubwürdige Beweisführung bezüglich des angeblichen Völkermordes an den
Herero anhand eines „englisch antideutschen Propagandaberichtes am Ende
des Ersten Weltkrieges“ (Blaubuch). Außerdem kritisiert die namibische
Historikerin, daß eine ganze Generation von unkritischen Wissenschaftlern
und Autoren, besonders in Westdeutschland, DRECHSLERs Ausführungen
übernahmen und propagierten. Dies führte dazu, daß es kaum ein
Geschichtsbuch gibt, in dem diese falschen Behauptungen fehlen.
Oberstleutnant a.D. Klaus LORENZ lieferte in einer vom Fachbereich
Geschichts-wissenschaft der Hamburger Universität angenommenen
Magisterarbeit den militärischen Nachweis, daß der den Deutschen
angelastete Völkermord an den Herero unwahr ist und stellte zur Begründung
folgendes fest:
Die geplante Kesselschlacht am Waterberg konnte nicht stattfinden, weil
die Herero die Initiative ergriffen, indem sie den Einschließungsring im
Südosten mit ihrem Vieh durchbrachen und auf bekannten Wegen in
verschiedene Richtungen, vor allem durch die Omaheke, flohen.
LORENZ wies weiterhin nach, daß die Führer der Herero auch auf
diplomatischem Gebiet tätig gewesen waren. Für den Fall des Scheiterns des
Aufstandes hatten sie sich um Asyl und Weideland im britischen
Betschuanaland bemüht.
Der zweite Versuch der Schutztruppe zu einem militärischen Erfolg zu
kommen, scheiterte in der Omaheke. Die Verfolgung der mobileren
Flüchtlinge mußte wegen großer Versorgungsschwierigkeiten, vor allem an
Wasser sowie Typhuserkrankungen und Erschöpfung von Mensch und Tier, schon
bald abgebrochen werden.
Daraufhin befahl General v.TROTHA die Absperrung der Omaheke um eine
Rückkehr von Flüchtlingen zu verhindern. Zur Verschleierung seines
Mißerfolges, der einer Niederlage gleichkam, meldete er nach Berlin, daß
die Herero den selbst gewählten Dursttod erlitten hätten und in der
Kalahari umgekommen seien.
Als das Drama in der Omaheke in Berlin bekannt wurde, ordnete
Reichskanzler v.BÜLOW die Aufhebung des „Vernichtungsbefehls“ und die
Unterstützung der Missionare bei der Rettung der halb verhungerten
Flüchtlinge an.
Frau Dr.Maria FISCH lieferte einen weiteren wichtigen Beitrag zur
Wahrheitsfindung des Geschehens am Waterberg und der anschließenden
Fluchtbewegungen der Herero unter dem Titel: Zum „Genozid“ an den Herero.
Die Autorin war zwanzig Jahre als Missionsärztin im Nordosten Namibias
tätig und erhielt ihre ersten Informationen zu diesem Thema aus mündlichen
Überlieferungen der Eingeborenen. Später folgten gründliche Recherchen im
Rahmen ihrer ethnologischen Forschungsarbeit.
Sie bestätigt zunächst die von Brigitte LAU vermuteten falschen
Zahlenangaben durch Herrn DRECHSLER. Sie hat die Bevölkerungszahl der
Herero vor dem Kampf am Waterberg anhand schriftlicher Quellen zwischen
35.000 und 50.000 Personen ermittelt und geht davon aus, daß die Zahl der
am Waterberg zusammengezogenen Männer, Frauen und Kinder, noch kleiner
war.
Die Zahl der Herero, die den Aufstand überlebt haben, wird niemand genau
feststellen können. 1926 wurde die gesamte Bevölkerung dieser Volksgruppe
in Südwestwestafrika mit 20.000 Personen angegeben. Wenn man zu diesen die
Asylanten in den Fluchtländern hinzuzählt, wird die von DRECHSLER
angegebene Zahl von 15.000 Überlebenden erheblich überschritten.
Dies zeigen die Forschungsergebnisse über Fluchtbewegungen der Herero nach
dem Durchbruch durch den Einschließungsring.
Die Flucht vollzog sich in mehreren Fraktionen auf alt bekannten
Handelswegen in verschiedene Nachbarländer. Dorthin waren bereits
Hererogruppen während der Kämpfe gegen die militärisch überlegenen Nama-
und Orlam-Hottentotten in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts und nach
der Niederschlagung des Mbanderu-Aufstandes 1896 geflohen.
Bevorzugte Fluchtrichtung war das Ngamiland in Botswana. Die Ost-Herero (Mbanderu)
hatten durch ihr bis dorthin reichendes Weidegebiet direkte Verbindung zu
diesem Nachbarland. Die während der Winterzeit (Juni, Juli, August) durch
die Omaheke risikolos begehbaren Wege führten durch die Trockenflußbetten
des Eiseb, Epukiro und Nossob.
Die Häuptlinge SAMUEL MAHARERO und TJETJO flohen mit ihrem Anhang durch
die Omaheke nach Botswana. Vermutlich wußten sie nicht, daß die auf dieser
Strecke vorhandenen Wasserlöcher ungewöhnlich früh ausgetrocknet waren. Im
Gegensatz zum gesamten Sandfeld hatte es im Hereroland 1904 so stark
geregnet, daß das Swakoprivier zu einem reißenden Strom wurde. Die leeren
Wasserlöcher und das unterlassene tiefere Graben in den Trockenflußbetten
aus Furcht, von den Deutschen eingeholt zu werden, führte zu dem
furchtbaren Dursttod vieler Menschen und Tiere dieser beiden
Flüchtlingsgruppen.
Einige Gruppen erkannten rechtzeitig die katastrophale Wassersituation in
der Omaheke. Sie wechselten auf einen ebenfalls bekannten, aber längeren
Handelsweg mit besserer Wasserversorgung. Er führte vom Unterlauf des
Omatako Omuramba durch das heutige Buschmannland zum Kavangodelta und von
dort weiter zum Handelszentrum am Ngamisee.
Nach einer Mitteilung des englischen Hochkommissars befanden sich 1905
noch 1.175 Hereroflüchtlinge in Botswana. In dieser Angabe sind auch die
vor 1904 geflohenen Herero enthalten. Andererseits wurden Familien, die
sich weit zerstreut niedergelassen hatten, nicht erfaßt.
Häuptling MICHAEL von Omaruru, der mit SAMUEL MAHARERO in die Omaheke
geflohen war, kehrte zunächst in das Hereroland zurück, zog dann nach
Walvis-Bay und wurde mit 200 Personen nach Südafrika weitergeleitet.
Eine Gruppe von 400 Herero schlug von der Omaheke einen großen Bogen nach
Norden, kreuzte den Omuramba Omatako und erreichte das Ovamboland im
Südosten. Schon lange tauschten dort die Herero Rinder gegen Salz,
Kupferwaren und aus Angola stammende Zivilisationsgüter. Während der
Kriegsjahre kauften sie von angolanischen Händlern Waffen und Munition.
Der Häuptling SALATIEL vom Waterberg und DANIEL KARIKO von Okombahe waren
mit ihrem Gefolge in das Ovamboland geflohen. SALATIEL zog weiter nach
Angola und ließ sich dort nieder. – In dieses nördliche Nachbarland waren
bereits nach der Niederlage bei Hamakari einige Familien, nach Überwindung
des Kavango, gelangt.
Dieser beste Fluchtweg nach Norden und Nordosten wurde nur von wenigen
Gruppen genutzt, weil er durch das Wohngebiet feindlich gesinnter
San-Gruppen führte. Im Trockenflußbett des Omatako Omuramba gab es
permanente Wasserstellen sowie Buschkost, Wild und Weide.
Einem relativ großen Teil der Flüchtlinge gelang die Rückkehr aus der
Omaheke durch die Lücken der dünn besetzten deutschen Absperrlinie in ihr
Heimatland. Dort versteckten sie sich bis sie, halb verhungert, in den
Auffanglagern der Rheinischen Mission Zuflucht und Betreuung fanden. Diese
Lager erhielten die offizielle Bezeichnung „Konzentrationslager“.
DRECHSLER, NUHN und andere bezeichneten diese Rettungszentren als
Vorläufer der NS-Vernichtungslager gleichen Namens. In den
„Konzentrationslagern der Missionare“ wurden 14.000 Angehörige des
Hererovolkes vor der Vernichtung gerettet.
Schlußbemerkungen
Zu der Aufforderung des Engländers HENDERSON an die Historiker, endlich
festzustellen, was wirklich in den deutschen Kolonien geschah, lieferten
Frau Brigitte LAU, Frau Dr.Maria FISCH und Oberstleutnant a.D. Klaus
LORENZ MA wichtige Beiträge. Diese neuen Forschungsarbeiten ermöglichen
eine deutliche Korrektur der in der Öffentlichkeit weit verbreiteten
falschen Kenntnisse über die Kämpfe am Waterberg im Jahre 1904 und die
anschließenden Fluchtbewegungen der Aufständigen. Der furchtbare Dursttod
der Herero in der Omaheke war kein von der Schutztruppe verübter
Völkermord, sondern die Folge des Entschlusses der Häuptlinge zur Flucht
in dieses Trockengebiet. |