Beitrag zur Korrektur wahrheitswidriger Darstellungen der deutschen
Kolonialgeschichte von Südwestafrika / Namibia

WALTER RAHN (November 2001)

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Vor dem Ersten Weltkrieg genoß Deutschland als Kolonialmacht in England einen guten Ruf. Die kolonialen Leistungen wurden besser bewertet als diejenigen der übrigen Kolonialmächte. Nach Kriegsbeginn gewannen die Kräfte an Einfluß, die eine Annexion der deutschen Schutzgebiete forderten. Zur Umstimmung der öffentlichen Meinung begann eine Verleumdungskampagne gegen die deutsche Kolonialherrschaft.

Nach dem Kriegseintritt der Vereinigten Staaten wurden die sogenannten „Blaubücher“ richtungweisend für diese Diffamierungsstrategie. Dabei ging es mit Blick auf Frankreich und die Dominien um das angebliche Streben Deutschlands nach Weltherrschaft und, zur Beeinflussung der amtlichen und öffentlichen Meinung in den Vereinigten Staaten, um die angeblich von Deutschen verübten Grausamkeiten an der eingeborenen Bevölkerung.

Die ungerechtfertigte Wegnahme der deutschen Kolonien im Versailler Vertrag stand im Widerspruch zu der auch von Deutschland akzeptierten 14 Punkte-Erklärung des US-Präsidenten WILSON. Die Begründung für die Wegnahme entsprach den „Lügen-Blaubüchern“, die diese Bezeichnung später auch von britischer Seite erhielten.
Die darin enthaltenen Behauptungen der Unfähigkeit deutscher Kolonialbeamter und Brutalität der Schutztruppen-Offiziere wurde von allen Parteien des Reichstages zurückgewiesen und als „Kolonialschuldlüge“ bezeichnet.

Bereits 1926 wurden die „Blaubücher“ von offiziellen britischen Stellen zurückgezogen, nachdem sie ihren Zweck erfüllt hatten. Zur gleichen Zeit setzte auch Premierminister HERZOG, auf Antrag des SWA-Landesrates, das „Blaubuch für Südwestafrika“ außer Kraft.

In der Zeit zwischen dem Ersten und Zweiten Weltkrieg berichteten die Autoren teilweise in einseitig positiver und besonders heroischer Weise über die deutsche Kolonialgeschichte und den Einsatz der Schutztruppe. Die von enteigneten Farmern und Geschäftsleuten erhoffte Rückgabe ihres Besitzes der Schutzgebiete lag nicht im Interesse der Alliierten, und war auch von der Reichsregierung nicht beabsichtigt.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die deutsche Kolonialgeschichte vor allem von „marxistischen Historikern“ der DDR im Sinne der SED-Ideologie beschrieben, und die unabhängig gewordenen Staaten Afrikas vor dem angeblichen „Neo-Kolonialismus der BRD“ gewarnt.

1966 erschien das Buch von Horst DRECHSLER mit dem Titel „Südwestafrika unter deutscher Kolonialherrschaft. Der Kampf der Herero und Nama gegen den deutschen Imperialismus (1884 - 1915)“. Die in London längst in der Versenkung verschwundenen „Blaubücher“ erlebten durch das DRECHSLER´sche Buch eine unerwartete Renaissance. Beim Lesen dieser Lektüre ist unschwer eine Assoziation mit den Veröffentlichungen der HVA-Abteilung X „Desinformation“ im ehemaligen Ministerium für Staatssicherheit (Stasi) der DDR erkennbar.

Unter Leitung vom Generalmajor Horst VOGEL und Oberst Rolf WAGENBRETH nahm die Abteilung X der Stasi durch raffiniert gefälschte Berichte über Politiker der CDU, angebliche Nazi-Offiziere der Bundeswehr oder Maßnahmen der Regierung, Einfluß auf die Politik der BR-Deutschland.

In der gleichen Weise hat Herr DRECHSLER durch eine Negativauslese der Informationen aus dem Aktenmaterial des Reichskolonialamtes in Potsdam und durch Verschweigen der ebenso feststehenden positiven Geschehnisse zu einer wahrheitswidrigen Darstellung der deutschen Kolonialgeschichte in Südwestafrika / Namibia beigetragen. Diese einseitige Betrachtungsweise widerspricht jeder seriösen Forschungsarbeit der Historiker. – Im Kaiserreich hatten die Kolonialgegner die Möglichkeit, jeden Mangel in der Verwaltung und jedes Vergehen einzelner Beamter oder Offiziere anzuprangern. DRECHSLER hat das Fehlverhalten einzelner pauschaliert und mit einer tendenziösen Argumentation des XXII. Parteitages der KPdSU in seinem Buch präsentiert.

Der renommierte französische Kolonialhistoriker Robert CORNEVIN widersprach 1969 diesen „ostdeutschen Historikern“ in seinem Buch „Histoire de la colonisation allemande“. Der unvoreingenommene Wissenschaftler würdigte, nach gründlichen Recherchen in den ehemaligen deutschen Schutzgebieten, den dreißigjährigen deutschen Kolonialbeitrag im internationalen Vergleich.
Der Franzose beschrieb in objektiver Weise auch die Schattenseiten des Kolonialismus und bezeichnete schließlich die letzten sieben Jahre vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges als das goldene Zeitalter der deutschen Kolonisation. Als Gründe für den Aufschwung nannte er u.a. Maßnahmen zur Verbesserung der Lebensqualität der eingeborenen Bevölkerung durch den Leiter des Reichskolonialamtes Dr.DERNBURG.

In Südwestafrika war diese positive Entwicklung wegen der Aufstände und deren Folgen vor dem Ende der Kolonialzeit nicht erkennbar.

Der bekannte britische Kolonialhistoriker William O. HENDERSON äußerte sich über den deutschen Kolonialbetrag in ebenso positiver Weise in seiner 1962 veröffentlichten Schrift „Studies in German Colonial History“ mit folgenden Worten: »Vieles, was über Deutschlands überseeische Besitzungen geschrieben wurde, ist durch Propaganda vergiftet. Die Schwierigkeiten, die den Weg versperren, um festzustellen, was sich zwischen 1884 und 1914 in den deutschen Kolonien wirklich ereignete, sind eine Herausforderung für den Historiker. Es ist wichtig, daß die Spreu vom Weizen getrennt und die Wahrheit ermittelt wird. «

Die namibische Historikerin Brigitte LAU war von 1991 bis zu ihrem tödlichen Autounfall 1996 Leiterin des Nationalarchivs von Namibia. In einer Broschüre mit dem Titel „Ungewisse Gewißheiten. Der Herero- Deutsche Krieg von 1904“ bezeichnete sie die vom DDR-Historiker Horst DRECHSLER angegebene Zahl der Hererobevölkerung vor dem Kampf am Waterberg mit 80.000 Personen als viel zu hoch, und die der Überlebenden des Kampfes und der Flucht mit 15.000 als viel zu niedrig. Vor allem unterstellt sie ihm unglaubwürdige Beweisführung bezüglich des angeblichen Völkermordes an den Herero anhand eines „englisch antideutschen Propagandaberichtes am Ende des Ersten Weltkrieges“ (Blaubuch). Außerdem kritisiert die namibische Historikerin, daß eine ganze Generation von unkritischen Wissenschaftlern und Autoren, besonders in Westdeutschland, DRECHSLERs Ausführungen übernahmen und propagierten. Dies führte dazu, daß es kaum ein Geschichtsbuch gibt, in dem diese falschen Behauptungen fehlen.

Oberstleutnant a.D. Klaus LORENZ lieferte in einer vom Fachbereich Geschichts-wissenschaft der Hamburger Universität angenommenen Magisterarbeit den militärischen Nachweis, daß der den Deutschen angelastete Völkermord an den Herero unwahr ist und stellte zur Begründung folgendes fest:
Die geplante Kesselschlacht am Waterberg konnte nicht stattfinden, weil die Herero die Initiative ergriffen, indem sie den Einschließungsring im Südosten mit ihrem Vieh durchbrachen und auf bekannten Wegen in verschiedene Richtungen, vor allem durch die Omaheke, flohen.

LORENZ wies weiterhin nach, daß die Führer der Herero auch auf diplomatischem Gebiet tätig gewesen waren. Für den Fall des Scheiterns des Aufstandes hatten sie sich um Asyl und Weideland im britischen Betschuanaland bemüht.

Der zweite Versuch der Schutztruppe zu einem militärischen Erfolg zu kommen, scheiterte in der Omaheke. Die Verfolgung der mobileren Flüchtlinge mußte wegen großer Versorgungsschwierigkeiten, vor allem an Wasser sowie Typhuserkrankungen und Erschöpfung von Mensch und Tier, schon bald abgebrochen werden.
Daraufhin befahl General v.TROTHA die Absperrung der Omaheke um eine Rückkehr von Flüchtlingen zu verhindern. Zur Verschleierung seines Mißerfolges, der einer Niederlage gleichkam, meldete er nach Berlin, daß die Herero den selbst gewählten Dursttod erlitten hätten und in der Kalahari umgekommen seien.

Als das Drama in der Omaheke in Berlin bekannt wurde, ordnete Reichskanzler v.BÜLOW die Aufhebung des „Vernichtungsbefehls“ und die Unterstützung der Missionare bei der Rettung der halb verhungerten Flüchtlinge an.

Frau Dr.Maria FISCH lieferte einen weiteren wichtigen Beitrag zur Wahrheitsfindung des Geschehens am Waterberg und der anschließenden Fluchtbewegungen der Herero unter dem Titel: Zum „Genozid“ an den Herero.

Die Autorin war zwanzig Jahre als Missionsärztin im Nordosten Namibias tätig und erhielt ihre ersten Informationen zu diesem Thema aus mündlichen Überlieferungen der Eingeborenen. Später folgten gründliche Recherchen im Rahmen ihrer ethnologischen Forschungsarbeit.
Sie bestätigt zunächst die von Brigitte LAU vermuteten falschen Zahlenangaben durch Herrn DRECHSLER. Sie hat die Bevölkerungszahl der Herero vor dem Kampf am Waterberg anhand schriftlicher Quellen zwischen 35.000 und 50.000 Personen ermittelt und geht davon aus, daß die Zahl der am Waterberg zusammengezogenen Männer, Frauen und Kinder, noch kleiner war.

Die Zahl der Herero, die den Aufstand überlebt haben, wird niemand genau feststellen können. 1926 wurde die gesamte Bevölkerung dieser Volksgruppe in Südwestwestafrika mit 20.000 Personen angegeben. Wenn man zu diesen die Asylanten in den Fluchtländern hinzuzählt, wird die von DRECHSLER angegebene Zahl von 15.000 Überlebenden erheblich überschritten.
Dies zeigen die Forschungsergebnisse über Fluchtbewegungen der Herero nach dem Durchbruch durch den Einschließungsring.

Die Flucht vollzog sich in mehreren Fraktionen auf alt bekannten Handelswegen in verschiedene Nachbarländer. Dorthin waren bereits Hererogruppen während der Kämpfe gegen die militärisch überlegenen Nama- und Orlam-Hottentotten in der zweiten Hälfte des 19.Jahrhunderts und nach der Niederschlagung des Mbanderu-Aufstandes 1896 geflohen.
Bevorzugte Fluchtrichtung war das Ngamiland in Botswana. Die Ost-Herero (Mbanderu) hatten durch ihr bis dorthin reichendes Weidegebiet direkte Verbindung zu diesem Nachbarland. Die während der Winterzeit (Juni, Juli, August) durch die Omaheke risikolos begehbaren Wege führten durch die Trockenflußbetten des Eiseb, Epukiro und Nossob.

Die Häuptlinge SAMUEL MAHARERO und TJETJO flohen mit ihrem Anhang durch die Omaheke nach Botswana. Vermutlich wußten sie nicht, daß die auf dieser Strecke vorhandenen Wasserlöcher ungewöhnlich früh ausgetrocknet waren. Im Gegensatz zum gesamten Sandfeld hatte es im Hereroland 1904 so stark geregnet, daß das Swakoprivier zu einem reißenden Strom wurde. Die leeren Wasserlöcher und das unterlassene tiefere Graben in den Trockenflußbetten aus Furcht, von den Deutschen eingeholt zu werden, führte zu dem furchtbaren Dursttod vieler Menschen und Tiere dieser beiden Flüchtlingsgruppen.

Einige Gruppen erkannten rechtzeitig die katastrophale Wassersituation in der Omaheke. Sie wechselten auf einen ebenfalls bekannten, aber längeren Handelsweg mit besserer Wasserversorgung. Er führte vom Unterlauf des Omatako Omuramba durch das heutige Buschmannland zum Kavangodelta und von dort weiter zum Handelszentrum am Ngamisee.

Nach einer Mitteilung des englischen Hochkommissars befanden sich 1905 noch 1.175 Hereroflüchtlinge in Botswana. In dieser Angabe sind auch die vor 1904 geflohenen Herero enthalten. Andererseits wurden Familien, die sich weit zerstreut niedergelassen hatten, nicht erfaßt.

Häuptling MICHAEL von Omaruru, der mit SAMUEL MAHARERO in die Omaheke geflohen war, kehrte zunächst in das Hereroland zurück, zog dann nach Walvis-Bay und wurde mit 200 Personen nach Südafrika weitergeleitet.

Eine Gruppe von 400 Herero schlug von der Omaheke einen großen Bogen nach Norden, kreuzte den Omuramba Omatako und erreichte das Ovamboland im Südosten. Schon lange tauschten dort die Herero Rinder gegen Salz, Kupferwaren und aus Angola stammende Zivilisationsgüter. Während der Kriegsjahre kauften sie von angolanischen Händlern Waffen und Munition.

Der Häuptling SALATIEL vom Waterberg und DANIEL KARIKO von Okombahe waren mit ihrem Gefolge in das Ovamboland geflohen. SALATIEL zog weiter nach Angola und ließ sich dort nieder. – In dieses nördliche Nachbarland waren bereits nach der Niederlage bei Hamakari einige Familien, nach Überwindung des Kavango, gelangt.
Dieser beste Fluchtweg nach Norden und Nordosten wurde nur von wenigen Gruppen genutzt, weil er durch das Wohngebiet feindlich gesinnter San-Gruppen führte. Im Trockenflußbett des Omatako Omuramba gab es permanente Wasserstellen sowie Buschkost, Wild und Weide.

Einem relativ großen Teil der Flüchtlinge gelang die Rückkehr aus der Omaheke durch die Lücken der dünn besetzten deutschen Absperrlinie in ihr Heimatland. Dort versteckten sie sich bis sie, halb verhungert, in den Auffanglagern der Rheinischen Mission Zuflucht und Betreuung fanden. Diese Lager erhielten die offizielle Bezeichnung „Konzentrationslager“. DRECHSLER, NUHN und andere bezeichneten diese Rettungszentren als Vorläufer der NS-Vernichtungslager gleichen Namens. In den „Konzentrationslagern der Missionare“ wurden 14.000 Angehörige des Hererovolkes vor der Vernichtung gerettet.
Schlußbemerkungen

Zu der Aufforderung des Engländers HENDERSON an die Historiker, endlich festzustellen, was wirklich in den deutschen Kolonien geschah, lieferten Frau Brigitte LAU, Frau Dr.Maria FISCH und Oberstleutnant a.D. Klaus LORENZ MA wichtige Beiträge. Diese neuen Forschungsarbeiten ermöglichen eine deutliche Korrektur der in der Öffentlichkeit weit verbreiteten falschen Kenntnisse über die Kämpfe am Waterberg im Jahre 1904 und die anschließenden Fluchtbewegungen der Aufständigen. Der furchtbare Dursttod der Herero in der Omaheke war kein von der Schutztruppe verübter Völkermord, sondern die Folge des Entschlusses der Häuptlinge zur Flucht in dieses Trockengebiet.

 
Quellenverzeichnis
 
1. CORNEVIN, Robert: Histoire de la colonisation allemande - Editions Presses Universitaires de France, Paris (1969)
2. DITFURT v., Christian: Auftrag: Irreführung. Wie die Stasi Politik im Westen machte.
Carlsen Verlag Hamburg(1992)-ISSN 3-551-85003-8
 
3. DRECHSLER, Horst: Südwestafrika unter deutscher Kolonialherrschaft. Der Kampf der Herero und Nama gegen den deutschen Imperialismus (1884 - 1915) Akademie Verlag Berlin (1966)
4. FISCH Dr., Maria: Zum „Genozid“ an den Herero - Heft 1/2001 Befunde und Berichte zur deutschen Kolonialgeschichte – Internationaler Arbeitskreis für Kolonialwissenschaftliche Forschung. Postfach 230104, D-42391 Wuppertal
5. HENDERSON, William O.: Studies in German Colonial-History. London 1962
6. Gr. Gen. Stab: Kriegsgeschichtliche Abteilung I des Gr. Gen. Stabes, Bd. 1
Der Feldzug gegen die Hereros, Mittler & Sohn, Berlin 1906
7. LAU, Brigitte: Ungewisse Gewißheiten. Der Herero- Deutsche Krieg von 1904 Heft 1/2000 - Befunde und Berichte zur deutschen Kolonialgeschichte –  Internationaler Arbeitskreis für Kolonialwissenschaftliche Forschung.
Postfach 230104, D-42391 Wuppertal
8. LORENZ MA, Klaus: Waterberg und Omaheke 1904 –
Heft 1/2001 - Befunde und Berichte zur deutschen Kolonialgeschichte –
Internationaler Arbeitskreis für Kolonialwissenschaftliche Forschung. Postfach 230104, D-42391 Wuppertal
9. STELZER, Hans Georg: Die Deutschen und ihr Kolonialreich. Societäts Verlag 1984 – ISBN 3 79730416 1
 
   
 

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